Ein Lotse geht...
Zum Abschied von Wilderich von Fürstenberg, Rechtsberater der
Mitarbeiterseite
Zum 1. Oktober 2002 ist der langjährige Rechtsberater der Mitarbeiterseite
in der Arbeitsrechtlichen Kommission, Wilderich v. Fürstenberg
(v. Fürstenberg), in den Ruhestand getreten. Das AK-Magazin (AKM)
hat ihn anlässlich dieses Ereignisses über seine Erfahrungen
und Einschätzungen interviewt.
AKM: Herr von Fürstenberg, Sie haben die Arbeit der AK aus unterschiedlichsten
Blickwinkeln über Jahre hinweg begleitet, als Anwender, Stellvertreter,
Mitglied, und zuletzt als Rechtsberater. Was hat sich über die
Jahre verändert?
v. Fürstenberg: Die Arbeit der AK ist in den letzten anderthalb
Jahrzehnten professioneller und eigenständiger geworden. Tarifergebnisse
des öffentlichen Dienstes werden zwar nach wie vor übernommen,
aber zunehmend durch eigene Entscheidungen angereichert. So werden Verteilungskonflikte
in die Kommission hinein getragen, die es früher so nicht gab.
Sie entstehen dadurch, dass die Dienstgeberseite die schwindende Abhängigkeit
des Refinanzierungssystems karitativer Einrichtungen vom öffentlichen
Dienst dazu nutzt, eigene, kostensenkende Forderungen einzubringen,
bevor sie einer Tariferhöhung zustimmt.
AKM: Rechtsberater der Mitarbeiterseite - das war etwas ganz neues,
ein weites Land, unbeackerter Boden. War die Umstellung vom Mitglied
zum Rechtsberater schwierig? Was hat dabei am meisten, was am wenigsten
Spaß gemacht?
v. Fürstenberg: Ich habe kein absolutes Neuland betreten, als
ich in die beratende Funktion wechselte. Schließlich war ich nebenher
immer auch als Berater der Mitarbeitervertretungen und Mitarbeiter meiner
Diözese Essen tätig. So konnte ich stets auf wichtige Basiserfahrungen
zurück greifen.
Auslösendes Motiv, einen Rechtsberater für die Mitarbeiterseite
der AK zu installieren, war die Vorstellung, man müsse einem rechtlichen
Ausmanövrieren durch die vermeintlich kompetentere Dienstgeberseite
begegnen. Waffengleichheit bei der Beurteilung von Rechtsfragen herzustellen,
ist ein wichtiger Aspekt, wenn es darum geht, die AVR zu gestalten.
Gleichwohl stelle ich in Frage, ob es zu Verbesserungen der AVR nennenswert
beigetragen hat. Denken Sie nur daran, wie oft wir die Gleichbehandlung
von Teilzeitkräften angemahnt, zum unverrückbaren Prinzip
erhoben haben. Wir haben uns nicht durchsetzen können, weil betriebswirtschaftliche
Interessen stärker waren, und sogar soziologische, psychologische
und theologische Erkenntnisse, um nur die wichtigsten zu nennen, verdrängt
haben. Es bedarf wohl einer Aufrüstung der Mitarbeiterseite auch
in den genannten Disziplinen. Dennoch war es für mich eine große
persönliche Befriedigung, den beginnenden Veränderungsprozess
der AK begleiten zu dürfen. Es gehört zum Geschäft, dass
dabei nur ein Bruchteil dessen umgesetzt werden konnte, was ich erträumt
hatte.
AKM: Es scheint fast eine gegenläufige Entwicklung zu geben: Jahrzehntelang
war der "Dritte Weg" heftig umstritten, sogar bekämpft;
jetzt, wo er langsam an Reputation gewinnt, erodiert er innerlich. Die
vertrauensvolle Zusammenarbeit beider Seiten ist auf ein Minimum geschrumpft,
es geht weder vorwärts noch rückwärts. Ist das mehr ein
strukturelles oder ein inhaltliches Problem, oder gar eine unglückselige
Verkettung von beiden?
v. Fürstenberg: Die gewonnene Reputation des Dritten Weges beruht
nach meiner Einschätzung weniger auf den Inhalten, die dort erarbeitet
werden, als vielmehr auf dem als Konsensprinzip bezeichneten - im Vergleich
zum zweiten Weg billigeren - Weg, auf dem Beschlüsse erreicht werden.
Der derzeitige Stillstand scheint mir darauf zurückzuführen
zu sein, dass sich die Kommission noch in einem Lernprozess befindet.
Die Erarbeitung eigenständiger Beschlüsse verlangt Konfliktstrategien,
Überdenken der eigenen Position und Kompromissbereitschaft. Statt
dessen ist auf beiden Seiten häufig ein stures Festhalten an einmal
eingenommenen Standpunkten festzustellen. In dieser Situation fehlt
den Mitgliedern der AK die Fähigkeit, aufeinander zuzugehen. Weil
dafür nicht vorgesorgt ist (z.B. durch Schlichtung und Schulung
in Konfliktstrategien), liegt zunächst einmal ein strukturelles
Problem vor.
AKM: Es hat sich gezeigt, dass komplexere Themen (Stichwort: Zusatzversorgung)
einerseits die AK in ihrer Kompetenz überfordern, andererseits
andere Gremien die AK in ihrer Zuständigkeit und Verantwortung
auch gar nicht wahrnehmen (z. B. die KZVK) oder schlicht übergehen.
Hat die AK ausreichende Ressourcen für ihr Geschäft? Oder
ist sie zwangsläufig auf Nachvollziehen gepolt? Tut die AK ausreichend
für ihr Image?
v. Fürstenberg: Die Neuregelung der Zusatzversorgung war ein unwürdiges
Schauspiel für das Image des Dritten Weges, unabhängig davon,
ob es rechtlich korrekt abgelaufen ist. Ich frage mich, ob es dem Selbstverständnis
einer Arbeitsrechtlichen Kom-mission entsprechen kann, gerade dann keine
eigenen Akzente setzen zu dürfen, wenn es um die Altersversorgung,
die Absicherung des Erwerbsrisikos und die finanzielle Sicherung der
Hinterbliebenen der uns anvertrauten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
geht. Die Beantwortung solcher Fragen darf doch nicht Versicherungsmathematikern,
Rechtsgutachtern und Betriebswirten überlassen bleiben, denn es
handelt sich um Werteentscheidungen. Sie sind wegen ihrer Komplexität
zwangsläufig auf der Grundlage fremden Wissens und fremder Kompetenz
zu treffen. Die Nichtbeachtung der AK in dieser Frage hätte Anlass
sein müssen, den Auftrag zur Gestaltung des Arbeitsrechts zu überdenken
oder zurück zu geben.
AKM: Die AK hat noch nie einen eigenständigen Entgeltbeschluss
gefasst. Trotzdem verlangt man von ihr sogar, eine leistungsbezogene
Vergütung zu kreieren. Trauen Sie der AK das zu?
v. Fürstenberg: Die AK kann froh sein, dass es ihr in der Vergangenheit
wegen der Übernahme der Tarifergebnisse des öffentlichen Dienstes
erspart geblieben ist, selbst den gerechten Lohn für die Arbeit
der Beschäftigten festlegen zu müssen. Es wird ihr nicht erspart
bleiben, darüber zu befinden, ob bei der Caritas Leistungslohn
eingeführt wird. Leistungslohn ist chic und entspricht der gesellschaftspolitischen
Entwicklung. In größeren Einrichtungen wird Leistungsvergütung
auf Geschäftsführerebene und auch darunter als selbstverständlich
betrachtet. Sogar ehrenamtliche AK- Mitglieder verlangen leistungsgerechte
Entlohnung für ihre Arbeit. Das alles widerspricht den Grundsätzen,
die wir im Gleichnis der Arbeiter im Weinberg des Herrn vorfinden. Dennoch
wird die AK Leistungsvergütung spätestens dann beschließen,
wenn sich der öffentliche Dienst dazu durchgerungen hat. Das entspricht
dem Ritual, Tariferhöhungen mit anderen Komponenten zu koppeln.
Die AK ist gut beraten, vorher über die Gestaltung der Leistungsvergütung
nachzudenken, um Raum für eigene Akzente zu lassen und einen groben
Rahmen abzustecken. Ich bin mir bewusst, dass Leistungsvergütung
äußerst problematisch gesehen werden muss. Sie kann nach
meiner Einschätzung nur individuell oder gruppenbezogen - wenn
überhaupt - beurteilt werden. Die AK übernimmt sich, wenn
sie meint, hier im Detail mitreden zu müssen. Das gilt insbesondere
für einzelne Leistungskriterien und die Schwierigkeit, die Qualität
sozialer Arbeit zu messen. Es war sicherlich kein Ruhmesblatt, z.B.
die Leistungsfähigkeit eines Kochs an Vollportionen zu messen.
Der Widerstand gegen Leistungsentgelte wird durch die Befürchtung
genährt, es solle auf Kosten der Schwächeren zu Gunsten der
Stärkeren oder gar des Dienstgebers umverteilt werden. Das ist
in der Tat eine Werteentscheidung, die wohl bedacht sein will. Abschaffung
des Bewährungsaufstiegs und Stellenbündelung (mehrere Möglichkeiten,
den Mitarbeiter einzugruppieren), wie im öffentlichen Dienst angedacht,
zielen in genau dieselbe Richtung und werden die AK erreichen. Sie muss
sich entscheiden.
AKM: Ein Problem der von der AK zu verantwortenden AVR ist ihre mangelnde
Tarifqualität. Jedermann kann sie in Teilen abbedingen, wenn ihm
etwas nicht gefällt oder zu teuer ist. Sehen Sie eine Lösung,
wie die AVR über den Charakter von unverbindlichen Empfehlungen
hinauskommen könnten?
v. Fürstenberg: Die mangelnde Tarifqualität der AVR erleichtert
den Tarifbruch. Dessen ungeachtet ist er kein Phänomen, das AVR
- typisch ist. Ein Blick in die angeblich tarifvertraglich geordnete
Wirtschaft belegt diese Feststellung. Auch die Haustarife der Gewerkschaften
des öf-fentlichen Dienstes sind nichts anderes als geschickt verbrämte
Tarifabweichungen nach un-ten. In der verfassten Kirche wird die Tarifanwendung
durch die Gesetzesmacht des Bischofs gewährleistet, doch die weltlichen
GmbHs der Caritas erreicht er nicht. Infolge des-sen muss die Caritas
selbst die Anwendung der AVR sichern, indem sie tarifunwillige Mitglieder
eliminiert. Ob den Betroffenen damit geholfen ist, bleibt offen und
sei dahingestellt.
Andererseits kann die AK die Anwendung der AVR unterstützen, indem
sie Erleichterungen für die Dienstgeber schafft, die sich in einer
echten Notlage befinden. Es nutzt wenig, in solchen Fällen auf
die Prosperität der Kirche oder Miss-management zu verweisen. Tariföffnung
bedeutet, dem Zickzackkurs der Gewerkschaften zu folgen. Mangels gebietlicher
Strukturen der AK bleibt nur die Öffnungsklausel für örtliche
Dienst-vereinbarungen. Diese setzt freilich eine fachliche Aufrüstung
der Ortsebene und Einsicht in die Bücher voraus.
AKM: Hat die Arbeitsrechtliche Kommission (AK) eine Zukunft? Wie müsste
sie sich und was müsste sie ändern, damit sie eine hat?
v. Fürstenberg: Die AK hat Zukunft, wenn sie das tut, wozu sie
angetreten ist: Die Arbeitsverhältnisse von Mitgliedern der Dienstgemeinschaft
zu gestalten. Nachdem auch der öffentliche Dienst sich in seiner
Tarifpolitik von sozialpolitischen und gesellschaftspolitischen Vorgaben
zu verabschieden beginnt (Verheiratetenzuschlag, Alterszuschlag, Alterssicherung,
Leistungsbezahlung, Branchentarife), ist die AK mehr denn je gefordert,
darüber zu entscheiden, welche Prinzipien der katholischen Soziallehre
zukünftig in den AVR ihren Niederschlag finden.
Es ist sicherlich nicht falsch, zu behaupten, die Bewährungsprobe
der AK sei gekommen. Will sie die Probe bestehen, muss sie darüber
nachdenken, ob ihr Verhandlungsstil zeitgemäß ist. Ich halte
es für ein Unding, dass die Voten der Mitglieder, die in Ausschüsse
entsandt werden, von der eigenen Fraktion gekippt werden. Das ist in
meinen Augen ein Verstoß gegen das Gebot der Verlässlichkeit
und vertrauensvollen Zusammenarbeit. Die Verlagerung der Arbeit in einen
Ausschuss folgt der Erkenntnis, dass ein Gremium von 58 Personen nicht
fähig ist, Detaillösungen zu erarbeiten. Daraus folgt für
mich, dass Grundsatzentscheidungen in der Kommission respektive in der
Fraktion getroffen werden, bevor ein Ausschuss damit befasst wird.
AKM: Wie sehen Sie rückwirken Ihre Arbeit als Rechtsberater?
Was empfehlen Sie Ihrer Nachfolgerin?
v. Fürstenberg: Es steht mir nicht zu, meine Arbeit zu bewerten,
das mögen andere tun. Ich persönlich bin dankbar, dass der
Präsident des Deutschen Caritasverbandes und die Vertreter der
Mitarbeiter meine Art zu agieren geduldet und unterstützt haben.
Meine Nachfolgerin wird ihren eigenen Stil finden. Etwas mehr an Charme
kann der Arbeit nur förderlich sein.
AKM: Herr von Fürstenberg, wir danken für das Gespräch,
Ihre hervorragende Arbeit und für eine lange, gute Zeit freundschaftlicher
Verbundenheit.
wbf
Die Neue:
Sie heißt Henriette Crüwell, ist 31 Jahre alt, verheiratet
und Mutter dreier Kinder im Alter von 4, 6 und 8 Jahren. Sie hat ihr
Abitur in der Heimschule Kloster Wald gemacht, eine Gesellenprüfung
in Scheibentöpferei absolviert (das verspricht pfleglichen Umgang
mit empfindlichem Tarifporzellan!), hat Jura in Würzburg und Kiel
studiert, erstes und zweites juristisches Staatsexamen abgelegt und
dann noch ein Studium der Philosophie und Theologie an der Hochschule
St. Georgen in Frankfurt am Main draufgepackt. Das ist schon bis zum
Vordiplom gediehen. Entgegen den Verlautbarungen baden-württembergischer
Werbung kann sie ausweislich ihres Abiturzeugnisses neben Englisch und
Italienisch auch Hochdeutsch. Die Leserinnen und Leser werden ihre diversen
Fähigkeiten demnächst selbst im AK-Magazin beurteilen können.
Die Mitarbeiterseite freut sich, mit ihr und ihrem Kollegen Wolfgang
Bartels ein kompetentes und kooperatives Beratungsteam zur Seite zu
haben. Das tröstet über den rentenbedingten Verlust v. Fürstenbergs
ein bisschen hinweg.
wbf