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Verantwortung und Weitsicht

Gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der
Deutschen Bischofskonferenz zur Reform der Alterssicherung in Deutschland

  

Herausgegeben vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Herrenhäuser Straße 12, 30419 Hannover,
und vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Kaiserstraße 163, 53113 Bonn

 


 

Vorwort

Über die Zukunft der Alterssicherung sind weite Teile der Bevölkerung beunruhigt. Die einen sehen unmittelbar ihre Sicherung im Alter gefährdet. Die anderen empfinden das System der Alterssicherung als ungerecht und stellen seine Zukunftsfestigkeit in Frage.

Das immer größere Ungleichgewicht zwischen Rentenempfängern und Erwerbstätigen, die zunehmende Rentenbezugsdauer, die hohen Beitragssätze und mit ihnen die Belastung der Arbeitskosten, die zunehmende Zahl unterbrochener Erwerbsbiographien, all dies verändert die Grundlagen der gesetzlichen Alterssicherung als einer der Säulen des Sozialstaates. Veränderungen sind nötig. Sie müssen auf lange Sicht angelegt und tiefgreifend sein und dürfen sich nicht auf Reparaturen beschränken. Was jetzt nötig ist, sind Verantwortung und Weitsicht.

Mit ihren Überlegungen wollen die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland einen Beitrag zur langfristigen Entwicklung der Alterssicherung und damit zur Zukunftsfähigkeit des Systems leisten. Sie lassen sich dabei von der ausgleichenden Generationengerechtigkeit sowie vom Solidaritäts- und Subsidiaritätsgedanken leiten. Mit ihren Vorschlägen zur solidarischen Alterssicherung sowie zu den notwendigen Ergänzungssystemen versuchen sie, eine Brücke zu schlagen zwischen den grundsätzlichen Überlegungen zur Generationengerechtigkeit und der Ebene konkreter Sozialpolitik.

Die vorliegende gemeinsame Erklärung plädiert für eine gerechte Lastenverteilung zwischen den Generationen, für mehr Solidarität und subsidiäre Eigenverantwortung, für eine eigenständige Sicherung für jede Frau und jeden Mann, für Maßnahmen gegen Altersarmut und langfristig für eine Versicherungspflicht für alle Erwerbstätigen.

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz hoffen auf eine nachdenkliche, an Grundfragen orientierte und über die Tagespolitik hinaus reichende Diskussion über Alterssicherung und Generationensolidarität als gemeinsame Aufgabe aller Glieder der Gesellschaft.

 

Bischof Dr. Karl Lehmann
Vorsitzender
der Deutschen Bischofskonferenz
Präses Manfred Kock
Vorsitzender des Rates
der Evangelischen Kirche in Deutschland

 

 

Bonn und Hannover, 19. Juni 2000


 
  1. Mut zur Wahrheit

    Die Sicherung im Alter besitzt für die Menschen, die ein Leben lang hart gearbeitet haben und die sich auf die Systeme der Alterssicherung verlassen, hohe Bedeutung. Wenn diese Sicherung gefährdet ist oder sich großen Problemen gegenüber sieht, steht für den einzelnen und das Gemeinwesen viel auf dem Spiel. In Deutschland ist dies der Fall. Das ist der Grund, warum sich die Kirchen zu Wort melden. Grundlegende Reformen stehen an. Sie müssen mehr sein, als ein Kurieren an Symptomen. Es muß zu Weichenstellungen kommen, die von Verantwortung und Weitsicht bestimmt sind.

    Die Finanzierung der Alterssicherung in Deutschland ist immer schwieriger geworden. Wenn dieses Problem nicht gelöst wird, sind die Alterssicherungssysteme mittel- und längerfristig gefährdet.

    Viele Jahre verschloß man die Augen vor der Frage, wie sich der dramatische Rückgang der Geburtenzahl und die gestiegene und noch weiter ansteigende Lebenserwartung der Menschen auf die Alterssicherungssysteme auswirken. Es werden heute viel weniger Kinder geboren als zu einer gleichbleibenden Struktur des Bevölkerungsaufbaus notwendig ist. Außerdem hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung in den letzten 30 Jahren stark erhöht. Tendenziell treten immer weniger junge Menschen ins Erwerbsleben ein. Entsprechend geht die Zahl der Beitragszahler zurück. Dies kann durch eine Verlängerung der Erwerbstätigkeit und die Erhöhung der Erwerbsquote zum Beispiel von Frauen nur teilweise ausgeglichen werden. Der Anteil der Rentner und Pensionäre nimmt zu. Erheblich verschärft haben sich die Folgen dieser Situation für die Rentenversicherung durch die Frühverrentungen.

    Es gibt viele Vorschläge, wie die drohende Krise der Systeme der Alterssicherung vermieden werden kann. Sie haben jedoch nicht selten kürzere Zeiträume im Blick oder stellen gar auf den nächsten Wahltermin ab. Oder sie nehmen zu sehr Rücksicht auf das, was vermeintlich zumutbar ist. Manche sehen die Verantwortung nur auf einer Seite und verkennen die gemeinsame Verantwortung aller. Eine nachhaltige Reform der Alterssicherung braucht aber nicht nur den Willen zur Gerechtigkeit, sondern auch den Mut zur Wahrheit.

    Die Kirchen können und wollen kein bestimmtes Modell der Alterssicherung vorschlagen. Ihnen geht es um Grundorientierungen und zentrale Eckpunkte. Sie rufen die Politiker und Sozialpartner auf, sich in dieser Frage von Weitsicht und der Gerechtigkeit leiten zu lassen.

     

  2. Alterssicherung als gemeinsame Aufgabe

    Die Vorsorge für das eigene Alter ist für jeden und jede, der oder die dazu in der Lage ist, eine der vorrangigen Aufgaben und Pflichten. Selbstverantwortete Vorsorge ist zwar keine Alternative zu einer gemeinschaftlich organisierten Alterssicherung, aber doch ihr notwendiger und unverzichtbarer Bestandteil. Als Mitglied der Gemeinschaft hat jeder Bürger und jede Bürgerin die Pflicht, Vorsorge für das Alter zu üben. Mit dem eigenen Beitrag werden Familie, Gemeinwesen und Solidargemeinschaft entlastet. Das Bewußtsein für die Eigenverantwortung als Ausdruck solidarischer Verbundenheit muß deshalb zunehmen.

    Dabei darf nicht übersehen werden, daß diese Vorsorge, auch wenn sie in verschiedenen Formen erfolgt, immer an die Generationensolidarität gekoppelt ist. Der alte Mensch ist auf wirtschaftliche Güter und soziale Dienste angewiesen, die von der arbeitenden Generation geschaffen werden. Generationensolidarität bedeutet aber auch die rechtzeitige und ausreichende Sorge für Kinder und für die nachrückende Generation.

    In einer durch starken wirtschaftlichen und sozialen Wandel geprägten Gesellschaft kann nicht mehr damit gerechnet werden, daß familiäre und berufliche Zugehörigkeiten stabil und umfassend genug sind, um eine die solidarische Vorsorge ergänzende Eigenvorsorge zu gewährleisten. Denn nicht jeder und jede ist in der Lage, für sich selbst vorzusorgen. Dies gilt vor allem für Geringverdiener, Alleinerziehende, Frauen und Männer mit unterbrochenen Erwerbsbiographien. Jeder Mensch hat aber auch im Alter ein grundlegendes Recht auf Leben und auf die Sicherung seiner Existenz. Deshalb wurden in allen modernen Staaten soziale Sicherungssysteme geschaffen, in denen die grundsätzliche Solidarität der Bürger zum Ausdruck kommt.

    Wo die Gemeinsamkeit nur unzureichend verwirklicht ist und wo die Lasten ungleich verteilt sind, kommt es zu Schieflagen, zu Über- und Unterversorgung, zu Belastungen für die Wirtschaft, zu Ungleichheit, aber auch zu Armut und Ausgrenzung. Dann treten auch gravierende Finanzierungsprobleme auf, die Staat, Gesellschaft und Wirtschaft belasten, und die Alterssicherung schwächen. Dann wird auch die Würde von Menschen verletzt, die - im Alter hinfällig geworden - nicht die Hilfe bekommen, die sie für ein gesichertes Leben benötigen. Diejenigen, die erwerbstätig waren und diejenigen, die Kinder großgezogen haben, haben viel für andere getan. Es ist deshalb nicht zu verstehen, wenn sie im Alter nicht in der erforderlichen Weise versorgt wären.

    Nach biblischem Verständnis sind die alten Menschen in ihrem Anspruch auf Anerkennung ihrer Würde und Lebensleistung zu achten, damit auch deren Kinder, selbst einmal alt geworden, im Sinne des Generationenvertrages in den Genuß des Schutzes und der Versorgung im Alter kommen können. So fordert das Vierte Gebot, die Eltern zu "ehren", d.h. sie in ihrer Würde zu achten und sie im Alter zu versorgen, damit es auch den Kindern später im Alter "wohl ergehe" und sie "lange leben". Die materielle Sicherung ist nur ein Teil der umfassenderen Aufgabe, zur Geborgenheit im Alter beizutragen. Dabei ist jeder einzelne grundsätzlich dafür verantwortlich, eigene Leistungen im Rahmen der Vorsorge für die Sicherung seines Alters zu erbringen. Dies ist eine Aufgabe, der nachzukommen er sich selbst und der Gemeinschaft schuldig ist. Die Bereitstellung materieller und geistiger Existenzgrundlagen ist eine Voraussetzung für die menschliche Freiheit. Nach biblischer Auffassung gewährt diese Grundlagen letztlich Gott, der segnend die Menschen erhalten will, um sie zu seinem Frieden und seiner Gerechtigkeit zu rufen.

     

  3. Die entscheidenden Herausforderungen - Situationsanalyse

    Das bisherige System der gesetzlichen Rentenversicherung ist auf die gemeinschaftliche Absicherung der elementaren Lebensrisiken ausgerichtet: Erwerbsunfähigkeit, Alter und Ausfall des Ernährers durch Tod. Seine Grundstruktur folgt dem richtigen Grundgedanken, die Alterssicherung in Solidarität der Generationen gesetzlich auszugestalten:

    Die tragenden Elemente sind

    - die regelmäßige Anknüpfung der Versicherungspflicht an eine Beschäftigung als Arbeitnehmer,

    - die Umlagefinanzierung über rechtlich und organisatorisch verselbständigte Träger, die jeweils hälftige Aufbringung der Beiträge durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber,

    - die Beitrags- und damit Lohnbezogenheit der Renten sowie

    - die an den Ausfall des Unterhalts durch den Versicherten anknüpfende, abgeleitete Hinterbliebenenversorgung.

    Die Neuordnung der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahre 1957 hat sich als Eckpfeiler unseres Sozialstaates bisher bewährt. Durch diese Reform wurde die Teilnahme der aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Arbeitnehmer am wachsenden Ertrag der Wirtschaft gesichert. Die Neuordnung orientierte sich jedoch an den damaligen sozialen Verhältnissen und Leitvorstellungen, denen zufolge Heirat und Familie mit Kindern das Normale waren und Väter in der Regel dauerhaft erwerbstätig, Mütter aber weitgehend voll mit hauswirtschaftlichen und Erziehungsaufgaben beschäftigt waren. Dies hat sich grundlegend gewandelt. Zudem kamen auf die Alterssicherungssysteme in der Folgezeit viele politisch motivierte, vom Parlament beschlossene Änderungen und Ausweitungen zu. Solange die Wirtschaft wuchs und auch immer mehr Arbeitsplätze entstanden, konnten die Beitragseinnahmen und die Leistungsausgaben einigermaßen im Gleichgewicht gehalten werden.

    Dieses System steht vor grundlegenden Herausforderungen:

    a) Eine entscheidende Bedeutung für die Zukunft der Alterssicherung hat die Geburtenrate. Nach den Feststellungen der vom Deutschen Bundestag eingesetzten Enquete-Kommission "Demographischer Wandel in Deutschland" liegt die Zahl der Geburten unter der für die Erhaltung der Bevölkerungsgröße erforderlichen Zahl. Das gerade für die Altersvorsorge so bedeutsame "Bestanderhaltungsniveau" wurde in Deutschland bereits in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts unterschritten und später trotz des sog. Babybooms in den 60er Jahren von keiner Generation mehr erreicht. Seit Mitte der 70er Jahre liegt die Zahl der Geburten um rund 1/3 unter der für die Erhaltung der Bevölkerungsgröße erforderlichen Zahl.

    Die Folgen dieser Entwicklung für die Alterssicherung sind gravierend. Als umlagefinanziertes Alterssicherungssystem ist die gesetzliche Rentenversicherung einem besonderen Risiko ausgesetzt, wenn sich das zahlenmäßige Verhältnis der Generationen zueinander spürbar verändert. Dann nämlich ändert sich das Verhältnis von Leistungsempfängern und Beitragszahlern grundlegend. Mittel- und langfristig ist deshalb mit erheblichen Schwierigkeiten für die Alterssicherung zu rechnen.

    b) Zum anderen verschiebt sich seit längerer Zeit die Relation zwischen Erwerbstätigen und Rentenbeziehern aufgrund der erfreulicherweise deutlich gestiegenen und voraussichtlich weithin steigenden Lebenserwartung: Heute hat ein 65jähriger Versicherter eine verbleibende durchschnittliche Lebenserwartung von über 15 Jahren, eine Versicherte gleichen Alters von annähernd 19 Jahren. Dementsprechend verändert sich die durchschnittliche Rentenbezugsdauer. Es ist augenscheinlich, daß dieser Effekt durch eine "Frühverrentung" von Versicherten zusätzlich verstärkt wird.

    Beide Faktoren ñ die demographische Entwicklung wie die Verlängerung der durchschnittlichen Rentenbezugsdauer infolge der gestiegenen Lebenserwartung ñ sind bereits heute für die weitere Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung bedeutsam. Zwar hängt eine genaue Prognose der auf die gesetzliche Rentenversicherung zukommenden Belastungen von verschiedenen weiteren Faktoren ab. Diese können aber voraussichtlich die durch die demographische Entwicklung bedingten Effekte nur teilweise glätten und sind ihrerseits in ihren konkreten Auswirkungen nur bedingt abschätzbar.

    c) Als bedeutsamer Faktor für die gesetzliche Rentenversicherung erweist sich die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen: Sie zahlen eigene Beiträge zur Rentenversicherung und erwerben eigene Ansprüche. Damit nimmt auch der Anteil derjenigen zu, die im erwerbsfähigen Alter sind und tatsächlich einer Erwerbsarbeit nachgehen. Allerdings haben Frauen meist geringere Einkünfte als Männer, sind öfter teilzeitbeschäftigt oder haben unvollständige Versicherungsbiographien. Dies bleibt nicht ohne Folgen für ihre Sicherung im Alter.

    d) Von erheblicher Bedeutung ist auch die durchschnittliche Dauer des Erwerbslebens. Diese hat sich in den letzten Jahrzehnten durch die Verlängerung der Ausbildungsphase einerseits und die Zunahme von Frühverrentungen andererseits in größeren Bevölkerungsgruppen sehr verkürzt. Nur wenn es gelingt, trotz des starken ökonomischen Wandels die älteren Arbeitskräfte wieder länger in Beschäftigung zu halten, könnte hier eine Entlastung der Rentenversicherung erreicht werden.

    e) Wichtig für die Situation der Alterssicherung ist auch die Frage des Zuzugs von Ausländern. Der ist bei weitem nicht so groß, daß eine deutliche Verbesserung für die Renten erwartet werden könnte. Es müßte dann schon jährlich eine sehr hohe Zahl von Ausländern einwandern und mit ihren Familien integriert werden. Dies erscheint kaum realistisch.

    f) Eine nicht unbeträchtliche Rolle spielt auch der medizinische Fortschritt: Er hat erheblichen Einfluß auf die Entwicklung der Lebenserwartung, beeinflußt aber auch die Kosten des Gesundheitswesens und damit die auf die gesetzliche Krankenversicherung zukommenden Lasten.

    g) In den jüngeren Generationen gleichen sich die Erwerbsbiographien von Männern und Frauen an. Viele Frauen wollen auf Erwerbstätigkeit zu Gunsten von Kindern nicht mehr verzichten, während bei den Männern Unterbrechungen der Erwerbsbiographien zunehmen. Das Bild vom lebenslang alleinverdienenden Mann, der in einem Vollzeitberuf bis zum Renteneintritt seine Familie versorgt, tritt mehr und mehr zurück. Eine zunehmende Bedeutung haben Erwerbsbiographien von Frauen und Männern, die durch Kinderpause, durch Arbeitslosigkeit, durch Auslandsaufenthalt, durch eine Phase ehrenamtlicher Arbeit und andere Anlässe unterbrochen sind. Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigungen nehmen zu. Die Folgen für die Alterssicherung dieser Menschen sind gravierend.

    Es sind also zwei neue Dimensionen sozialer Ungleichheit entstanden: diejenige zwischen Personen mit generativen Beiträgen und solche ohne Kinder und diejenige zwischen Personen mit lebenslangen Erwerbsperspektiven (Normalarbeitsverhältnisse) und solchen mit wechselhaften und unsteten Erwerbsverläufen.

    Alles in allem besteht deshalb dringlicher Handlungsbedarf im Hinblick auf eine langfristig angelegte Reform des derzeitigen Systems der Altersvorsorge. Dieser erstreckt sich nicht zuletzt auf die Zeit nach 2030, da schon heute erkennbar ist, daß die Relation zwischen der Zahl der Erwerbstätigen und der der Rentenbezieher spätestens dann deutlich ungünstiger wird.

     

  4. Grundlagen des Generationenverbundes

    Das geltende System der gesetzlichen Altersvorsorge beruht auf der Idee des sog. "Generationenvertrages". Leitgedanke des Generationenvertrages ist, daß jede Generation in zweifacher Hinsicht zu den Gebenden wie den Nehmenden zählt: Auf der aktiven Generation lastet sowohl die Sorge um die nachwachsende Generation als auch die Verpflichtung, die erworbenen Rentenansprüche der aus dem Erwerbsleben Ausgeschiedenen einzulösen. Die jüngere Generation kann sich auf entsprechende Leistungen der aktiven Elterngeneration stützen. Die ältere Generation kann wiederum darauf bauen, von der erwerbstätigen Generation mitgetragen zu werden. In der natürlichen Abfolge der Generationen und den damit typischerweise verbundenen Lebenszyklen ist so die Solidarität zwischen den Generationen im Sinne eines übergreifenden Generationenverbundes angelegt.

    Das macht zugleich deutlich, daß die Sorge für den Nachwuchs als nicht-monetärer generativer Beitrag ebenso bedeutsam ist wie die monetären Beiträge, die jeweils von der aktiven Generation aufgebracht und im Wege der Umlage an die Rentenbezieher weitergereicht werden. Beide Formen von Beiträgen ñ monetäre wie nicht-monetäre ñ sind, auf die jeweilige Generation in ihrer Gesamtheit bezogen, "Bringschulden".

    Die Einsicht in die Bedingtheiten des Generationenverbundes erklärt, daß die Verschiebung der Relation von Erwerbstätigen zu Rentenbeziehern ein Gerechtigkeitsproblem zwischen den Generationen aufwirft: Vor allem in einem umlagefinanzierten Alterssicherungssystem führt dies dazu, daß immer weniger Erwerbstätige immer mehr Rentner zu finanzieren haben. Dies wirkt sich dahingehend aus, daß bei gleicher Leistungshöhe deutlich höhere Beiträge, bei gleicher oder geringerer Beitragshöhe aber erheblich niedrigere Renten zu leisten wären. In einer solchen Situation die Lasten ohne deutliches Gegensteuern nur einer Generation aufzubürden, würde diese nicht nur überfordern, sondern bedeutete auch einen Bruch mit dem Ziel ausgleichender Generationengerechtigkeit. In diesem Spannungsverhältnis ist ein deutliches Konfliktpotential zwischen den Generationen angelegt, das einen gerechten Ausgleich erfordert.

     

  5. Ziele einer langfristig angelegten Reform der Alterssicherung

    Reformen, die dem Gedanken der Generationengerechtigkeit Stand halten, sind unabdingbar. Diese müssen ñ bezogen auf den einzelnen Versicherten ñ an dem Ziel ausgerichtet sein, ein menschengerechtes Auskommen im Alter zu sichern, das auf die individuelle Lebensleistung in Form der jeweiligen monetären und nicht-monetären Beiträge bezogen ist und Teilhabe an der wirtschaftlichen Entwicklung sichert. Zugleich müssen die Reformen - bezogen auf die jeweils betroffenen Generationen ñ eine gerechte Verteilung der Lasten zwischen den Generationen anstreben, die den generativen Beitrag der jeweiligen Rentnergeneration nicht außer Betracht läßt und die aktive Generation nicht einseitig überfordert.

    Eine Reform des gegenwärtigen Systems der Alterssicherung muß sich deshalb an folgenden Maßstäben messen lassen:

    a) Gerechtigkeit zwischen den Generationen: Die Alterssicherung muß dem Grundsatz der Gerechtigkeit zwischen den Generationen Rechnung tragen. Die Generationen müssen füreinander einstehen. Keine darf die andere über das rechte Maß hinaus beanspruchen.

    b) Beitragsäquivalenz: Der Grundsatz der Beitragsäquivalenz fordert, daß Beiträge und Leistungen einander entsprechen müssen. Wer hohe Vorleistungen erbracht hat, soll im Alter viel bekommen, wer geringere Vorleistungen erbracht hat, soll weniger bekommen. (Vorleistungsgerechtigkeit)

    c) Verläßlichkeit und Vorhersehbarkeit: Alterssicherung muß verläßlich sein. Wer für das Alter vorsorgt und privat und gesetzlich Beiträge dafür erbringt, darf um seine Leistungen nicht betrogen werden. Alterssicherung darf auch nicht den Wechselfällen der politischen oder wirtschaftlichen Lage ausgesetzt sein. Jeder und jede hat einen Anspruch darauf, mit verläßlichen Rahmenbedingungen rechnen zu können. Es ist eine Eigenart aller Alterssicherungssysteme, daß sie auf Langfristigkeit angelegt sind: Ihnen geht es um Zukunftsvorsorge für den Fall des Alters, der Erwerbsunfähigkeit oder des Todes. Es ist Aufgabe des Staates, vorausschauend verläßliche Rahmenbedingungen sowohl für öffentliche wie für private und betriebliche Formen der Altersvorsorge zu schaffen. Nur durch rechtzeitig vorgenommene Weichenstellungen läßt sich das notwendige Vertrauen in das System der Alterssicherung langfristig sichern. Insofern genügt es nicht, lediglich kurzfristige Korrekturen vorzunehmen: Eine verläßliche Alterssicherung muß so ausgestaltet sein, daß sie auf Dauer Bestand hat und nicht mit jedem Regierungswechsel in Frage gestellt wird; deshalb ist bei Reformvorhaben auf diesem Gebiet ein weitreichender politischer Konsens erforderlich.

    d) Die gesetzliche Alterssicherung ist angewiesen auf die Solidarität von Erwerbstätigen und Rentnern, von Arbeitenden und Arbeitslosen, von Alleinlebenden und Familien mit Kindern. Diese Solidarität muß alle (!) Erwerbstätigen in die Verantwortung einbeziehen. Bei einer so fundamentalen Frage wie der solidarischen Sicherung im Alter dürfen auf Dauer nicht ganze Bevölkerungsteile ausgeklammert bleiben, auch wenn gerade der Zeitpunkt der Einbeziehung weiterer Gruppen von Versicherten in die gesetzliche Rentenversicherung vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung besonders bedeutsam ist.

    e) Solidarität und Subsidiarität dürfen nicht getrennt werden. Das Subsidiaritätsprinzip fordert, daß jeder und jede aus eigener Kraft und Initiative das leistet, was er oder sie leisten kann. Jeder sollte in der Lage sein, selber für sein Alter vorzusorgen. Solidargemeinschaft und Gemeinwesen fällt die Aufgabe zu, die Möglichkeit und Fähigkeit zur Eigenverantwortung und eigenverantworteten Vorsorge zu fördern. Eine solche Stärkung der Selbstvorsorgemöglichkeiten im Sinne echter Subsidiarität schließt eine Lastenverschiebung auf die schwächeren Schultern und eine Überforderung der Schwächeren aus. Die Schwächeren benötigen Hilfen und keine zusätzlichen Lasten. Es geht um die unterstützende Aktivierung des einzelnen und nicht um den Abbau von Solidarität.

    f) Eigenvorsorge: Die Solidargemeinschaft der Versicherten kann Alterssicherung nur bis zu einer bestimmten Höhe gewährleisten. Wenn es darum geht, den Lebensstandard im Alter zu erhalten und einen sozialen Abstieg im Rentenfall zu vermeiden, muß es neben der gesetzlichen Alterssicherung weitere zusätzliche Sicherungen geben. Es müssen geeignete institutionelle Grundlagen für weitere ñ kapitalgedeckte ñ Formen der Alterssicherung geschaffen und die insoweit bereits bestehenden Einrichtungen und Möglichkeiten systematisch ausgebaut werden. Gerade bei einer Begrenzung der Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung bekommen betriebliche Alterssicherung und Eigenvorsorge eine besondere Bedeutung. Die Situation der Schwächeren, die große Mühe haben, einen ohnehin niedrigen Lebensstandard im Alter zu erhalten, muß hier mit im Blick sein.

    g) Erhaltung der Lebensverhältnisse im Alter: Das Verständnis des modernen Sozialstaates zielt darauf, daß bei Eintritt des Versorgungsfalles kein gravierender sozialer Abstieg erfolgt. So soll auch zwischen der Lebensführung in der Erwerbsphase und der in der Rentenphase kein Bruch entstehen. Wer in den Ruhestand eintritt, sollte an seine bisherigen Lebensverhältnisse anknüpfen können und eine auskömmliche Sicherung haben. Die Systeme der Alterssicherung (gesetzliche Alterssicherung, Eigenvorsorge und betriebliche Vorsorge) müssen deshalb insgesamt so gestaltet sein, daß dieses Ziel erreicht werden kann.

    h) Eigenständigkeit der persönlichen Sicherung: Jeder und jede Erwerbstätige sollte eine eigenständige Rentenversicherungsbiographie und damit eine eigenständige Sicherung im Alter haben. Unabhängig von ihrem Familienstand oder ihrer Lebenssituation sollten Mann und Frau eigene Anwartschaften - während der Ehe in gleicher Höhe - erwerben.

     

  6. Auf die Zukunft vorbereiten

    a) Grundsätzliches Festhalten am System einer obligatorischen Alterssicherung: Gerade wenn man das Ziel verfolgt, das bisherige System der gesetzlichen Alterssicherung leistungsfähig zu erhalten, ist es notwendig, an der gegenwärtigen Systementscheidung zugunsten einer allgemeinen und obligatorischen Alterssicherung in Deutschland festzuhalten. Alterssicherung bedarf in einer sozialstaatlich verfaßten Gesellschaft eines obligatorischen Versicherungssystems mit Ausgleich besonderer sozialer Belastungen. Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen wie der absehbaren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen kann eine angemessene Kernsicherung für die große Mehrheit der Bevölkerung nur von einer obligatorischen und solidarischen Sozialversicherung erwartet werden. Individuelle Vorsorge dagegen und familiäre Selbsthilfe können für die große Mehrheit nur eine ergänzende, wenn auch immer wichtiger werdende Funktion bei der Abdeckung der großen regelmäßigen Risiken haben. Die Umlagefinanzierung hat sich über unterschiedliche gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Lagen hinweg im Großen und Ganzen bewährt. Eine grundlegende Umstellung von diesem Finanzierungsmodus in einen anderen ñ kapitalgedeckten ñ wäre nicht nur ordnungspolitisch problematisch, sondern würde auch gravierende Anpassungsprobleme mit sich bringen.

    b) Versicherungspflicht für alle Erwerbstätige: Das gegenwärtige System stellt ñ einem traditionellem Bild von Schutzbedürftigkeit folgend ñ einseitig auf die abhängige Erwerbstätigkeit ab. Diese Blickrichtung hat angesichts vielfältiger neuer Formen zwischen klassischer Selbständigkeit und abhängiger Erwerbstätigkeit seine ursprüngliche Legitimationskraft verloren. In der modernen Gesellschaft sichern die Erwerbsarbeit und das Einkommen die wirtschaftliche Lebensgrundlage. Dies gilt für jede Form der beruflichen Tätigkeit, ob sie abhängig erfolgt oder nicht. Da die elementaren Risiken, die traditionell von der gesetzlichen Rentenversicherung abgedeckt werden, jeden treffen (können), ohne für den einzelnen abschätzbar zu sein, ist eine alle umfassende gesetzliche Kernsicherung, die dem Grundsatz gemeinsamer Vorsorge für das Alter verpflichtet ist, angemessen. Eine Versicherungspflicht für alle Erwerbstätigen bedeutet auch eine Verbreiterung der Finanzierungsbasis.

    Bei einer Ausweitung der Versicherungspflicht auf alle Erwerbstätigen sind die Probleme existierender z. B. berufsständischer Pflicht-Alterssicherungssysteme wie auch die beamtenrechtlichen Vorsorgesysteme zu berücksichtigen. Langfristig und unter Wahrung des geltenden Vertrauensschutzes sollten auch Beamte künftig in die Solidargemeinschaft der Versicherten einbezogen sein.

    c) Eigenständige Sicherung für jede Frau und jeden Mann: Die Ausweitung der Versicherungspflicht auf alle muß zugleich mit der Lösung der Frage einer eigenständigen Rentenbiographie für Frauen verbunden werden. Frauen leisten mit der Geburt und Versorgung von Kindern, aber auch mit der Pflege von Angehörigen einen auch gesellschaftlich höchst bedeutsamen Beitrag für die weitere Entwicklung des Gemeinwesens. Die Erziehung von Kindern durch die Eltern ist zugleich eine für die Gesellschaft grundlegende Aufgabe. Beides muß sich auch in der gesetzlichen Ausformung der Alterssicherungssysteme niederschlagen. Dabei ist sicherzustellen, daß in Perioden der Kindererziehung die Beitragszahlung durch den Staat übernommen wird.

    Dennoch erhalten Frauen in vielen Fällen immer noch keine eigenständige soziale Sicherung, die ihren besonderen Biographien und einem gewandelten Rollenverhalten Rechnung trägt. Eine Neuregelung der Versicherungspflicht sollte deshalb auch die Einführung einer je eigenständigen sozialen Sicherung und einer persönlichen Rentenbiographie umfassen. Dies ist vom Verständnis der menschlichen Person her zu begründen. Die Person ist Ursprung, Träger und Ziel allen gesellschaftlichen Lebens, auch der Wirtschaftstätigkeit und ebenso der Vorsorge gegen die Hauptrisiken des Lebens. Männer und Frauen sind gleichberechtigt und gleichgestellt.

    Frauen haben in der Regel geringere Einkünfte als Männer und arbeiten in vielen Fällen in Teilzeitarbeit oder sind alleinerziehend. Frauen haben in solchen Fällen oftmals nicht die notwendige Ressourcen für eine eigenständige Sicherung. Auch hier wird deutlich, wie notwendig eine Verbesserung ihrer Chancen ist.

    Der sozialen Einheit in Ehe und Familie entspricht es, wenn die aus Erwerbs- und Familientätigkeit resultierenden Rentenansprüche beiden Partnern für die Dauer ihrer Ehe zu gleichen Teilen gutgeschrieben werden Bei Ehescheidungen, deren Zahl in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen hat, werden die Versorgungsansprüche in der Regel schon heute aufgeteilt, die sich ergebende Rente liegt im Normalfall noch unter der Witwenrente.

    d) Verläßlichkeit der bisherigen Hinterbliebenenversorgung: Neuregelungen zur Hinterbliebenenversorgung müssen eheliche Lebensentwürfe unangetastet lassen, die bereits vor dem Inkrafttreten einer entsprechenden Reform und damit auch im Vertrauen auf die derzeit geltenden Bestimmungen realisiert wurden. Dies gilt insbesondere für die Hinterbliebenenversorgung. Die gegenwärtige Ausgestaltung des Rechts der Hinterbliebenenrenten ist alles in allem durchaus von Augenmaß gekennzeichnet. Änderungen würden vor allem Frauen treffen, die vielfach Beiträge in Kindererziehung und gesellschaftliche Arbeit erbracht haben. Es muß vermieden werden, daß die entsprechenden Lebensentwürfe durch neue Regelungen entwertet und einer bestimmten Gruppe Sonderlasten auferlegt werden. Die Einführung einer eigenständigen Sicherung von Frauen kann daher zunächst nur für junge Frauen erfolgen. Für eine Umstellung der Hinterbliebenensicherung sind ausreichende Übergangsfristen nötig, in denen zwei Systeme gleichzeitig bestehen.

    e) Die Aufnahme eines Korrekturfaktors in die Rentenformel: Die Lasten bei der Sicherung im Alter müssen zwischen den Generationen gerecht verteilt werden. Die Tatsache, ob eine Generation viele oder wenige Kinder bekommen hat, hat Folgen für das System der Alterssicherung. Werden immer weniger Kinder geboren, entsteht ein Gerechtigkeitsproblem. Eine Generation mit einer geringeren Nachkommenschaft kann nicht die gleichen Renten in gleicher Höhe beziehen wie eine Generation mit zahlreicher Nachkommenschaft, vor allem dann nicht, wenn eben diese nachfolgende Generation nicht unverhältnismäßig hohe Beiträge zur Sicherung der nicht erwerbstätigen Generation aufbringen soll.

    Veränderungen im Verhältnis von Rentenbeziehern und Beitragszahlern erfordern einen Ausgleich, der durch einen besonderen Faktor in der Rentenformel berücksichtigt werden sollte. Das wird nicht ohne Auswirkungen auf das Rentenniveau zu erreichen sein. Dieser muß allerdings mehr umfassen als nur die Lebenserwartung. Er muß neben der Lebenserwartung auch die Geburtenentwicklung und andere relevante Faktoren einbeziehen. Die Rentenformel muß die Entwicklung der Relation von Beitragszahlern und Rentenbeziehern berücksichtigen und für eine Verteilung der Last auf Rentner, Beitragszahler und Steuerzahler sorgen. Vor dem geschilderten Hintergrund würde eine Entscheidung, die vorrangig darauf setzt, die Finanzierungsprobleme zu gegebener Zeit "irgendwie" durch eine Erhöhung der Beitragssätze aufzufangen, nicht nur eine schwere Belastung des Arbeitsmarktes darstellen und einen ungedeckten Wechsel auf die Zukunft ausstellen. Sie würde auch das Gebot der Generationengerechtigkeit nachhaltig verfehlen. Ebenso wenig dürfen die Beiträge festgeschrieben und die Probleme nur bei den Rentnern abgeladen werden.

    f) Renteneintrittsalter: Die Rentenbezugsdauer spielt für die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung eine nicht unbedeutende Rolle. Aus diesem Grunde darf das Renteneintrittsalter kein Tabu sein. Der Trend eines ständig sinkenden Durchschnittsalters beim Renteneintritt darf sich - bei aller Rücksichtnahme auf den Arbeitsmarkt - keinesfalls fortsetzen. Versicherungsmathematische Abschläge bei einem früheren Rentenbezug sind ebenso ein Gebot von Vorleistungsgerechtigkeit wie von rentenpolitischer Weitsicht.

    g) Gewährleistung einer Mindestsicherung: In ihrem gemeinsamen Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" (1997) haben die beiden Kirchen betont, der Sozialstaat sei "verpflichtet, jedem Menschen in Deutschland ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen." (Ziff. 179) Die vorhandenen Systeme der sozialen Sicherung müßten deshalb ihren Aufgaben so weit nachkommen, daß die in ihnen gesicherten Menschen nicht der Armut anheim fallen. Sie müssen "armutsfest" sein. Eine ausreichende Sicherung zu erreichen wird in einer Zeit, in der das erzielbare Einkommen während der Erwerbstätigkeit in nicht wenigen Fällen unzureichend ist, immer wichtiger.

    In der gegenwärtigen Diskussion werden im Wesentlichen vier unterschiedliche Wege genannt, die darauf abzielen, Altersarmut zu vermeiden:

    - die "Grundrente": Eine "Grundrente", die voll aus Steuermitteln finanziert wird, ist grundsätzlich zu unterscheiden von einer Kernsicherung im hier gebrauchten Sinn. Eine "Grundrente" ist kein geeigneter Weg zur ausreichenden Sicherung im Alter. Sie verfehlt den Grundsatz der Vorleistungsgerechtigkeit. Ihre Finanzierbarkeit ist labil, denn es besteht die Gefahr, daß ihre Höhe von der jeweiligen Kassenlage der öffentlichen Haushalte abhängig gemacht wird.

    - die Sozialhilfe als letztes Netz: Die Sozialhilfe ist sicherlich ein geeignetes Mittel zur Vermeidung von Altersarmut. Gegenwärtig nimmt sie diese Rolle auch wahr. Allerdings entsteht dann, wenn eine obligatorische Sicherung für alle gefordert wird, ein Problem: Menschen, die zur Teilnahme an einem System sozialer Sicherung gezwungen werden, erhalten in bestimmten Fällen bei Eintritt des Versicherungsfalls keine ausreichende Rente und werden auf die Sozialhilfe verwiesen. Es kommt hinzu: Die Sozialhilfe würde als erklärte Mindestsicherung gegen Altersarmut zur Regelsicherung.

    - das Auffüllen von Renten in den Fällen, in denen mit den erworbenen Rentenanwartschaften kein ausreichendes Rentenniveau erreicht wurde: Dies ist ebenfalls ein geeigneter Weg. Allerdings ist hier in jedem Fall auf die Bedürftigkeit im Einzelfall zu achten, damit am Schluß nicht doch eine zu geringe (oder auch zu hohe) Rente steht.

    - das Auffüllen von Beiträgen: Hier wird davon ausgegangen, daß jeder und jede bei Einzahlung der vollen Beiträge im Alter eine auskömmliche Rente erhält, die zumindest über Sozialhilfeniveau liegt. In den Fällen, in denen Menschen mit sehr geringem Einkommen, schicksalhaft unterbrochenen Versicherungsbiographien, Arbeitslose und Kindererziehende zeitweise keine Beiträge in ausreichender Höhe einzahlen können, hilft der Staatshaushalt durch das Auffüllen der Beiträge. Dieser Weg ist der wohl sinnvollste. Er ist geeignet, Altersarmut zu vermeiden. Allerdings muß auch hier der Gesichtspunkt der Bedürftigkeit in geeigneter Weise Beachtung finden.

    Bei einer Mindestsicherung ist zu beachten, daß sie keine falschen Anreize setzt und die Möglichkeit einer eigenverantwortlichen Vorsorge für das Alter nicht relativiert. Es darf nicht übersehen werden, daß ein Element des Gerechtigkeitsproblems darin besteht, ob die gesetzlich geregelte Altersvorsorge auch geeignet ist, aufs Ganze betrachtet zumindest eine bedarfsgerechte Mindestsicherung bereitzustellen: So wie bei der Reform die Frage der Gerechtigkeit zwischen den Generationen nicht ausgeblendet werden darf, darf die des Ausgleichs zwischen den Leistungsfähigeren und den sozial Schwachen nicht ausgeklammert werden.

     

  7. Ergänzungssysteme der solidarischen Alterssicherung

    Aufgrund der vorgeschlagenen Maßnahmen ist zu erwarten, daß die Steigerungen der Renten hinter denen der Erwerbseinkommen zurückbleiben werden, wenn die künftige erwerbstätige Generation nicht einseitig belastet werden soll. Deshalb ist der weitere Ausbau von Ergänzungssystemen neben der Gesetzlichen Rentenversicherung unumgänglich, um dem Ziel der Lebensstandardsicherung auch in Zukunft möglichst nahe zu kommen. Hier geht es vor allem um die berufsbezogene Sicherung und die private Eigenvorsorge.

    In der internationalen Diskussion um die Gestaltung der Alterssicherung wird zwischen der solidarischen Kernsicherung (1. Säule), der betrieblichen Sicherung (2. Säule) und der privaten Eigenvorsorge (3. Säule) unterschieden. In vielen Ländern machen berufliche und private Formen der Altersvorsorge einen wesentlich größeren Anteil an der gesamten Altersvorsorge aus als in Deutschland. Vor allem die zweite Säule, die berufsbezogene Sicherung, ist (mit Ausnahme der berufsständischen Versorgungswerke für die freien Berufe und der Zusatzversorgungskassen im öffentlichen Dienst) in Deutschland wenig entwickelt. Veränderte steuerliche Auflagen des Gesetzgebers und Auslegungen der Rechtsprechung haben eine starke Einschränkung der Zusagen für die betriebliche Altersvorsorge bewirkt. Hinzu kommt, daß die hohen Beitragssätze zur gesetzlichen Rentenversicherung wenig Spielraum für Eigenvorsorge lassen.

    Im Bereich der ergänzenden Alterssicherung ist Augenmaß hinsichtlich des Verhältnisses von staatlicher Regulierung und individueller bzw. betrieblicher Gestaltungsfreiheit in besonderem Maße gefordert. Grundsätzlich sollte es den Menschen freigestellt sein, in welcher Weise sie unter Berücksichtigung ihrer beruflichen Umstände für ihr Alter vorsorgen. Auch die Betriebe sollten in der Gestaltung ihrer Vorsorgemaßnahmen möglichst wenig eingeschränkt werden. Aufgaben des Staates ergeben sich hier vor allem in zweierlei Hinsicht:

    a) Private Vorsorge

    Der privaten Eigenvorsorge kommt eine zunehmende Bedeutung zu. Sie muß verstärkt werden. Kapitalfinanzierte Formen der Altersvorsorge ergänzen nicht nur die Sicherung des Lebensstandards im Alter, sie geben auch den einzelnen mehr Freiheit und Flexibilität. Daher ist es um so wichtiger, durch strukturelle Reformen in der gesetzlichen Rentenversicherung einen entsprechenden Raum für zusätzliche Eigenvorsorge zu schaffen. Nicht wenige Erwerbstätige haben schon seit Jahren damit begonnen, eine private Eigenvorsorge aufzubauen. Jede Förderung dauerhafter Vermögensbildung ist auch ein Beitrag zu Alterssicherung. Allerdings erhöht eine zusätzliche kapitalfinanzierte Altersvorsorge wirtschaftlich gesehen die Beitragsbelastung, da neben den Beiträgen zur kapitalgedeckten Alterssicherung auch die Beiträge zur Gesetzlichen Rentenversicherung aufgebracht werden müssen. Kapitalgedeckte Altersvorsorge ist auch nicht ohne Risiken, denn Kurse und Kapitalrenditen der Anlage schwanken. Langfristig gute Anlagemöglichkeiten sind nicht garantiert.

    Vor allem jüngere Menschen neigen dazu, die Bedeutung der Altersvorsorge zu unterschätzen. Je früher sie aber mit eigener Vorsorge für das Alter beginnen, desto höher ist der kapitalbildende Effekt von Vorsorgemaßnahmen. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, unter bestimmten Voraussetzungen und in beschränktem Umfange eine private Vorsorgepflicht der Erwerbstätigen gesetzlich vorzusehen. Eine solche Vorsorge müßte so gestaltet sein, daß der einzelne selbst entscheiden kann, in welchen Bereichen - privat oder betrieblich - er vorsorgt. Die steuerliche Förderung von Altersvorsorgemaßnahmen müßte ausgebaut werden. Die bewußte Stärkung von privater Vorsorge ist ohne steuerliche Förderung nicht möglich. Für Geringverdienende müßte eine zusätzliche staatliche Förderung bis zu einer bestimmten Höhe vorgesehen werden.

    b) Betriebliche Vorsorge

    Die betriebliche Alterssicherung als zweite Säule muß künftig eine größere Bedeutung erlangen. Die Betriebe müssen zur Wahrnehmung ihrer Mitverantwortung für die Alterssicherung ihrer Beschäftigten angehalten werden. Dies entspräche der Einsicht, daß Alterssicherung eine gemeinsame Aufgabe in Wirtschaft, Gesellschaft und Staat ist. Es sollten daher Maßnahmen getroffen werden, die den Betrieben ein Engagement bei der betrieblichen Mitverantwortung für die Alterssicherung dringend nahelegen. Die steuerlichen Rahmenbedingungen müssen so ausgestaltet werden, daß die Betriebe - unter ihnen vor allem auch die klein- und mittelständischen Betriebe - ihre Mitverantwortung auch wahrnehmen können. Dabei ist die Gesamtabgabenlast der Betriebe und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit im Blick zu halten. Betriebliche Vorsorge funktioniert in der Regel gut bei qualifizierten Personen, die in einem Großbetrieb mit festem Normalarbeitsvertrag arbeiten. Niedrigqualifizierte, Arbeitnehmer in mittelständischen Betrieben und Kleinbetrieben und vor allem auch weibliche Arbeitnehmer haben oftmals nicht die Möglichkeit zum Aufbau einer betrieblichen Komponente ihrer Alterssicherung. Daher ist es wichtig, durch Anreize vor allem die diesbezüglich klassisch benachteiligten Gruppen beim Aufbau ihrer betrieblichen Altersvorsorge nachdrücklich zu unterstützen.

    Es gibt viele Gestaltungsmöglichkeiten. Eine Ausweitung der betrieblichen Altersvorsorge bietet den Betrieben und den Begünstigten die Möglichkeit, betriebliche Leistungen wie zum Beispiel Überstunden, Gewinnbeteiligungen, Weihnachtsgeld usw. im Rahmen betrieblicher Vereinbarungen einzubringen. Eine solche Flexibilisierung der betrieblichen Altersvorsorge geht bewußt davon aus, daß alle angewachsenen Zusagen bei einem Betriebswechsel mit dem Arbeitnehmer auf den neuen arbeitgebenden Betrieb übergehen beziehungsweise daß die erworbenen Anwartschaften nach Auflösung eines Arbeitsverhältnisses der oder dem Begünstigten in voller Höhe erhalten bleiben.

    c) Die Verknüpfung von privater und betrieblicher Vorsorge im Investivlohn

    Die beiden Säulen der betrieblichen und der privaten Altersvorsorge müssen im Zusammenhang gesehen werden. Elemente der Eigenvorsorge und der beruflichen Vorsorge lassen sich in der Form des Investivlohns verbinden. Bei der Vermögensbildung im Produktivvermögen gibt es in Deutschland noch erhebliche Probleme. Im Gemeinsamen Wort der Kirchen "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" heißt es dazu: "Die Kirchen setzen sich (...) seit langem für eine gerechtere und gleichmäßigere Verteilung des Eigentums und nicht zuletzt für eine verstärkte Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Produktivvermögen ein. Das Ziel einer sozial ausgewogeneren und gerechteren Vermögensverteilung in Deutschland ist bei weitem nicht erreicht." (Ziff. 216)

    Zu denken ist hierbei an Modelle, die zwischen den Sozialpartnern vereinbart werden und die betriebliche Sozialleistungen und/oder Lohn- und Gehaltserhöhungen in Beteiligungen am Unternehmensvermögen umzuwandeln. Auch Zeitguthaben aus übertariflichen Arbeitsleistungen lassen sich so honorieren. Gegenüber der Vermögensbildung in der Form von Produktivvermögen gibt es in Deutschland noch erhebliche Vorbehalte. Ohne entschlossene Fördermaßnahmen wird sich jedoch die Vermögenskonzentration in der Bundesrepublik fortsetzen. Aus diesem Grund soll die Beteiligung am Produktivvermögen mit Blick auf alle Kreise der Bevölkerung aktiv betrieben werden.

     

  8. Eine zukunftsweisende Reform ist möglich - Ausblick

    Alle weiteren Schritte einer Reform der Alterssicherungssysteme - unter Einbeziehung der Pensionssysteme - müssen von dem Mut zu Wahrheit und Klarheit geleitet sein. Nur so läßt sich sicherstellen, daß die Kalkulierbarkeit der Altersvorsorge gewahrt bleibt und die knappen Güter "Vertrauen" und "Solidarität" nicht aufs Spiel gesetzt werden.

    Eine zukunftsweisende Reform der Alterssicherung, die den eingangs geschilderten Entwicklungstrends gerecht wird, ist möglich. Gelungene Reformen in europäischen Nachbarländern mit vergleichbarer Tradition der Sozialversicherungssysteme haben deutlich gemacht, daß in einer Zeit tiefgreifender Veränderungen die Lasten bei der Alterssicherung zwischen den beteiligten Seiten besser und gerechter verteilt werden können und den Herausforderungen der Zukunft besser entsprochen werden kann.