Logo

Die Internetseite für Mitarbeitervertretungen im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz


Pfeil


BAG-Info Nr. 35

Informationen · Kommentare · Meinungen · Nr. 35 · März 1999

Herausgegeben vom Vorstand der BAG-MAV · Postfach 25 · Ettenheim · Tel 07822/4762 · Fax 07822/896195

und Wolfgang Becker-Freyseng · Caritasverband München-Freising · Hirtenstraße 4 · 80335 München

Postfach 201143 · 80011 München Tel 089/55169-405 · Fax 089/55169-402

Raus aus dem BAT:

Zurück zum VGT*?
* Vergelt's-Gott-Tarif

 

Die Caritas ist immer für eine Überraschung gut. Jetzt hat sie ein Faß aufgemacht - und es sprudelt munter aus dem Spundloch. Mal sehen, ob sie da wieder einen Pfropfen drauf kriegt.

Worum geht es? Es hat sich in den letzten Jahren die Erkenntnis durchgesetzt, daß soziale Dienstleistungen Personal benötigen. Personal ist aber teuer und kostet Geld. Geld ist außerdem knapp. Was liegt in dieser Zwickmühle näher, als Personal billiger zu machen. Das geht aber schlecht, solange die Caritas mit ihrem Tarifwerk, den "Arbeitsvertragsrichtlinien" (AVR) ganz nah am Vergütungstarif des BAT in der kommunalen Fassung klebt.

Und so reifte denn der geniale Plan, man müsse bloß aus dem BAT aussteigen, und dann sei die Welt wieder in Ordnung und die Caritas konkurrenzfähig, weil man dann endlich konkurrenzlos Dumpinglöhne zahlen könne. (Aber das darf man natürlich nicht so laut sagen, nur denken!) Deswegen hat man alle möglichen Scheinargumente auf den Tisch gepackt. Der BAT bzw. die AVR seien so unflexibel, so kompliziert, so starr, so undurchschaubar, so leistungsfeindlich, usw. Der Markt, so schließlich der Gipfel der Argumentation, verlange nach flexiblen, betriebsangepaßten, öffnungsfreudigen Tarifsystemen, und nur dann könne man auf ihm als soziale Einrichtung überleben.

Angezettelt wurde diese Disskussion bereits vor längerem durch die finanziell potenten Träger großer diakonischer Einrichtungen, zusammengeschlossen im Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD).

Die machten Anfang Februar 99 in München auf einem Kongreß ihre Absicht des BAT-Ausstiegs publik. Und die katholischen Tagungsgäste nickten begeistert.

Bei den Evangelen ist die Diskussion bereits weit fortgeschritten und hat Grundzüge eines "neuen Entgeltsystems" gezeitigt, bei dem der Teufel jedoch wie üblich im Detail steckt. Der Verdacht läßt sich nicht entkräften, daß bei den unteren Lohngruppen gespart werden soll, während die oberen durch einen kräftigen "Bonus" ihr vortreffliches Gehalt noch aufbessern können.

Jetzt ist die öffentliche Diskussion auf den Bereich der Caritas übergeschwappt. KNA hat den Referatsleiter Arbeitsrecht beim Deutschen Caritasverband in Freiburg, Norbert Beyer, zum Thema BAT-Ausstieg interviewt. Pikanterweise ist Beyer auch Geschäftsführer der Arbeitsrechtlichen Kommission.

Das hat wiederum die Mitarbeiterseite in der Arbeitsrechtlichen Kommission auf den Plan gerufen, die auch flugs eine Stellungnahme dazu abgab. KNA sorgte für Verbreitung.

Diese Sondernummer bietet Ihnen in zeitlicher Reihenfolge eine Dokumentation der verschiedenen Stufen dieser öffentlichen Diskussion

(Anmerkung: diese liegt noch nicht digitalisiert vor und kann daher an dieser Stelle nicht wiedergegeben werden).

Eine weitere wird demnächst im März auf Tagungen in Eichstätt und Mainz erklommen. Haben Sie sich schon dazu angemeldet? Es tut sich was in der Landschaft. Diskutieren Sie mit! Es lohnt sich.

 

"Alles muß auf den Prüfstand" Arbeitsrechtler Beyer über den Abschied vom BAT bei der Caritas

Mitarbeiter in Einrichtungen der Caritas und der Diakonie befürchten derzeit, daß die Löhne sinken. Grund dafür ist, daß kirchliche Arbeitgeber diskutieren, wie sie sich dem härter werdenden Wettbewerb stellen. Der Leiter des Referats Arbeitsrecht beim Deutschen Caritasverband, Norbert Beyer, äußerte sich in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Freitag in Freiburg zu den Plänen.

KNA: Der Verband diakonischer Dienstgeber hat vorgeschlagen, daß sich Einrichtungen der Diakonie und der Caritas künftig nicht mehr an den Bundesangestelltentarif (BAT) anlehnen sollen. Wie ist Ihre Position?

Beyer: Die Vorschläge sind nachvollziehbar. Seit einigen Jahren öffnet sich eine gefährliche Schere, von der wir nicht wissen, wie wir sie schließen sollen. Die Personalkosten steigen viel stärker als die uns zugewiesenen Budgets. Krankenhäuser werden seit 1992 gedeckelt, das heißt das Budget wird nur in geringem Maße erhöht. Damit können wir den steigenden Personalkostenanteil nicht mehr ausgleichen. Außerdem spüren wir auch den Rückgang der Kirchensteuern. Das kann kein Unternehmen verkraften, auch die Caritas nicht. Auf Dauer ist damit der Bestand unserer Angebote gefährdet.

KNA: Heißt das, Mitarbeiter werden entlassen?

Beyer: Das wollen wir ja gerade vermeiden. Das schaffen wir aber nur, wenn wir das Vergütungssystem überdenken. Der BAT, an den wir uns bisher angelehnt haben, scheint dafür nicht mehr geeignet. Die Regelungen sind zu kompliziert. Bei den Ortszuschlägen blicken nur noch die Eingeweihten durch. Es ist auch zu prüfen, ob jemand automatisch höher gruppiert wird, nur weil er soundsoviele Jahre in der Einrichtung arbeitet. Das BAT-System ist eher auf Mitarbeiter einer Stadtbehörde zugeschnitten, die nicht mit anderen Anbietern konkurrieren müssen.

KNA: Wo macht Ihnen der Wettbewerb zu schaffen?

Beyer: Es gibt inzwischen einen regelrechten sozialen Markt, auf dem sich viele Anbieter tummeln. Private Pflegedienste machen uns das Leben schwer, weil sie oft dieselben Angebote haben, aber zu viel günstigeren Preisen. Das schaffen sie, weil sie zum Beispiel nur 630-Mark-Jobs vergeben oder die Mitarbeiter geringer vergüten als nach BAT. Ein anderes Beispiel: Reinigungskräfte und Küchenpersonal sind viel billiger über private Anbieter zu bekommen. Da ist die Versuchung groß, diesen Bereich auszugliedern. Die Caritas muß sich deshalb dem Wettbewerb stellen. Dabei dürfen Qualitätsmanagement und Leitbildprozesse für kirchliche Häuser keine Fremdwörter mehr sein.

KNA: Arbeitnehmer befürchten, daß sich hinter diesen Begriffen nur Stellenabbau oder schlechtere Löhne verbergen. Schon heute ist es doch ein Problem, daß Fachkräfte der Caritas den Rucken kehren, weil sie zu wenig verdienen.

Beyer: Man darf nicht nur den Streit um den BAT sehen, sondern wir brauchen ein Gesamtkonzept mit einer Weiterentwicklung unserer tariflichen Regelungen. Denkbar sind ergebnisorientierte Zulagen für den Fall, daß eine Einrichtung zufriedenstellend wirtschaftet, also ausgelastet ist. Alle bisherigen Leistungen müssen auf den Prüfstand. Das heißt nicht generell: runter mit den Löhnen. Aber es kann sein, daß beim Weihnachtsgeld gekürzt werden muß, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Eines ist klar: Die Zeiten, als alle Lohnerhöhungen undiskutiert weitergegeben wurden, sind bei der Caritas vorbei.

KNA: Wieviel Stellen stehen auf der Kippe?

Beyer: Dazu gibt es keine Erhebungen und keine Zahlen. Uns geht es darum, die Arbeitsplätze zu sichern. Aber die Politiker müssen zur Kenntnis nehmen, daß wir das nicht schaffen, wenn immer mehr gedeckelt wird. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat hochgerechnet, was die Deckelung konkret bedeutet. Wenn die Tariferhöhung um 5,5 Prozent durchgesetzt wird, entsteht ein Gesamtdefizit von 2,8 Milliarden Mark. In den westdeutschen Ländern ist für 1999 eine Budgeterhöhung von 1,6 Prozent, im Osten gar eine Minderung um 0,7 Prozent zu erwarten. Durch dieses Mißverhältnis sind 40.000 Stellen in allen deutschen Krankenhäusern gefährdet.

 

Interview: Dieter Klink (KNA)

Hinweis: Foto (Beyer)1 auch per ISDN, abrufbereit bei KNA-Bild, Röntgenstraße 9, 60388 Frankfurt/Main, Telefon: 06109/7036-0, Telefax: 06109/703612.

 

 

Stellungnahme der Sprechergruppe der Dienstnehmerseite in der Arbeitsrechtlichen Kommission zum Interview des Referatsleiters Arbeitsrecht des Deutschen Caritasverbandes Freiburg, Herrn Norbert Beyer

Herr Beyer hat sich in einem KNA-Interview zum Thema Ausstieg der Caritas aus dem BAT geäußert. Er hatte dabei, wie aus dem Text hervorgeht, vor allem die Katholischen Krankenhäuser im Auge, deren gedeckelte Budgets mit der Personalkostenentwicklung kaum mehr Schritt zu halten vermögen.

Dieses Problem trifft jedoch die kommunalen Krankenhäuser in genau der gleichen Weise. Es wird abzuwarten bleiben, welche Lösung die Tarifparteien im Öffentlichen Dienst für den Krankenhausbereich finden werden. Die Lösungen könnten z.B. ein spezieller Abschluß für die Krankenhäuser sein, oder eine Abkoppelung des gesamten Tarifbereichs für die Krankenhäuser.

Ein großer Teil der Caritasarbeit wird aber über Vereinbarungen mit staatlichen Ämtern oder Sozialhilfe- oder Sozialversicherungsträgern refinanziert, z.B. die Einrichtungen der Jugend-, der Behinderten- und der Altenhilfe. Diesen Refinanzierungsvereinbarungen liegen meist Personalkostenhochrechnungen auf BAT-Basis zugrunde. Es wäre daher äußerst unklug, wenn die Caritas insgesamt aus dieser gemeinsamen Verhandlungsgrundlage aussteigen würde.

Ein Teil der Caritasarbeit, vor allem die "offene" Beratungsarbeit, wird, soweit sie nicht gänzlich durch Zuschüsse kommunaler Körperschaften gedeckt sind, auch durch Kirchensteuereinnahmen mit unterstützt. Diese Mittel machen jedoch nur einen geringen Bruchteil der Gesamt-Finanzierung aus. Die Kirche würde sich wohl schwer tun, für ihren eigenen Bereich nach wie vor den BAT in fast unveränderter Form anzuwenden, für ihren Caritasbereich aber den BAT aber auszuschließen.

Daß der BAT in seinem Aufbau und seinen Regelungen seine Herkunft vom Beamtenrecht und von den Aufgaben einer Verwaltung nicht verleugnen kann, ist unbestritten. Aber Kirche wie Caritas scheuten bisher den Aufwand, um eigenes besseres System zu entwickeln. Wenn das so einfach wäre, hätte es sicher schon jemand erfunden.

Es stecken jedoch noch mehr Probleme hinter der Materie:

z.B. die Einheit des Kirchlichen Arbeitsrechtes. Kirchen- und Caritasbereich hielten sich bisher ziemlich eng an die Vergütungs- und Rahmenbedingungen des Öffentlichen Dienstes. Zwar hat fast jede kirchliche Vergütungsordnung einen anderen Namen, aber gemeinsamer Nenner aller kirchlichen wie caritativen Arbeitsrechtsordnungen ist der BAT. Stiege die Caritas aus dem BAT zur Gänze aus, würde sie die Einheit des kirchlichen Arbeitsrechts für fast zwei Drittel der Mitarbeiter im kirchlichen Dienst verlassen. Dieser politische Schritt will wohl überlegt sein.

z.B. das tragende Prinzip der Dienstgemeinschaft. Kirche wie Caritas waren bisher stolz darauf, ihre Dienste unabhängig von der Stellung, der Arbeit und der Funktion der jeweiligen Arbeitnehmer unter dem Prinzip der Dienstgemeinschaft zusammenzufassen. Werden einzelne Bereiche unter Hinweis auf Markterfordernisse ausgegliedert, bedeutet das, daß das tragende theologische Prinzip der Dienstgemeinschaft wirtschaftlichen Erfordernissen untergeordnet wird. Diese Konsequenz würde sich theologisch verheerend auswirken, da letztlich Marktbedingungen darüber entscheiden würden, ob jemand der Dienstgemeinschaft angehört oder nicht. Das Problem trifft erschwerend vor allem die unteren Lohngruppen, hat also zusätzlich einen eindeutig sozial diskrimierenden Hintergrund. Auch dieses Problem sollte sorgfältig durchdacht werden, bevor man es hemdsärmelig zugunsten von Markte rfordernissen "löst".

z.B. das Prinzip der kollektiven Rechtsetzung im Kirchenbereich. Die Kirche hat sich auf ein System paritätischer Kommissionen festgelegt ("Dritter Weg"), deren Beschlüssen der Bischof durch seine Rechtsetzungsbefugnis in den Diözesen Rechtskraft verleiht. Geltung erlangen sie aber nur durch einzelvertragliche Inbezugnahme im jeweiligen Einzelarbeitsvertrag. Ob die von Dritten (nämlich von den Kommissionen des Dritten Weges) getroffenen Vereinbarungen Recht und Billigkeit entsprechen, hängt nach Meinung der Rechtsprechung davon ab, wieweit die Tarifvereinbarungen "tarifmächtiger" Partner dabei Pate standen. Ein Ausstieg aus dem BAT hätte vermutlich erst einmal eine Billigkeitskontrolle weltlicher Gerichte zur Folge, unabhängig davon, ob ein Bischof einen Kommissionsbeschluß unterschreibt oder nicht. Auch diese Folge will wohl bedacht sein, bevor man sie durch Abkehr vom BAT provoziert.

z.B. die Frage der Gemeinnützigkeit. Bisher wurden caritative Betriebe nicht als gewinnorientierte Betriebe geführt, sie waren daher über die Gemeinnützigkeitsbestimmungen des Steuerrechtes steuerbefreit, durften aber auch keine Gewinne erzielen. Wer caritative Einrichtungen als Gewinnbetriebe führen will, um mit den Gewinnen Leistungszulagen, Erfolgsprämien oder ähnliches zu erwirtschaften, unterfällt dem ganz normalen Steuerrecht für normale gewinnorientierte Betriebe und verliert die Gemeinnützigkeit. Dann muß man auch die Frage stellen, warum die Kirche Wirtschaftsbetriebe führt, und warum man für Wirtschaftsbetriebe Kirchensteuern oder gar Spenden locker machen soll. Für Wirtschaftsbetriebe braucht man schließlich keine Kirche.

 

Es ist nach Ansicht der Dienstnehmerseite zu kurz gedacht, wenn Beyer meint, man bräuchte ein Gesamtkonzept für die Weiterentwicklung unserer tariflichen Regelungen. Auch die Frage eines Leistungslohnes betrifft nicht den Kern des Problems. Das eigentliche Kernproblem steckt unseres Erachtens darin, daß die gesamte Finanzierung des sozialen Sektors ins Rutschen gekommen ist. Der Markt ist nur für Leute da, die sich bestimmte Dienstleistungen auch leisten können. Doch die meisten Klienten und Inanspruchnehmer sozialer Dienste sind Käufer ohne Geld. Andere Finanziers bestimmen den Preis, für den Empfänger bestimmte Leistungen erhalten. Das hat jedoch nichts mit Markt zu tun, sondern mit Monopolstellungen von Anbietern und von Finanziers.. Es kann nicht sein, daß die ungelösten Probleme der Finanzierung sozialer Dienste und Einrichtungen über die Lohnkosten voll auf dem Rücken der Beschäftigten im sozialen Dienst gelöst werden. Soziale Leistungen zu Dumpingpreisen dienen weder Einrichtungen, Klienten noch Arbeitnehmern. Aber sie machen auf Dauer mit Sicherheit unsere sozialen Errungenschaften und Einrichtungen kaputt. Es kann nicht Ziel der Tarifpolitik sein, ganze Branchen kaputtzusparen, nur weil der Markt es angeblich erfordert. Ziel der Tarifpolitik muß sein, auch die Beschäftigten in den sozialen Dienstleistungsberufen an der allgemeinen Steigerung des Bruttosozialproduktes teilhaben zu lassen. Dieses Ziel ist derzeit massiv gefährdet. Es besteht die Gefahr, daß die Beschäftigten der sozialen Dienste den Anschluß an die allgemeine Gehaltsentwicklung verlieren und reihenweise aus der sozialen Arbeit aussteigen bzw. gar nicht mehr dort zu arbeiten beginnen.

Bevor man auf diese Entwicklung abfährt, sollte man noch einmal darüber nachdenken, ob man das überhaupt will.

10.02.99

wbf