BAG-Info Nr. 35
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Meinungen · Nr. 35 · März 1999
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und Wolfgang Becker-Freyseng · Caritasverband
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Raus aus dem BAT:
Zurück zum
VGT*?
* Vergelt's-Gott-Tarif
Die Caritas ist immer für eine Überraschung gut.
Jetzt hat sie ein Faß aufgemacht - und es sprudelt munter
aus dem Spundloch. Mal sehen, ob sie da wieder einen Pfropfen
drauf kriegt.
Worum geht es? Es hat sich in den letzten Jahren die Erkenntnis
durchgesetzt, daß soziale Dienstleistungen Personal
benötigen. Personal ist aber teuer und kostet Geld. Geld ist
außerdem knapp. Was liegt in dieser Zwickmühle
näher, als Personal billiger zu machen. Das geht aber
schlecht, solange die Caritas mit ihrem Tarifwerk, den
"Arbeitsvertragsrichtlinien" (AVR) ganz nah am
Vergütungstarif des BAT in der kommunalen Fassung klebt.
Und so reifte denn der geniale Plan, man müsse bloß
aus dem BAT aussteigen, und dann sei die Welt wieder in Ordnung
und die Caritas konkurrenzfähig, weil man dann endlich
konkurrenzlos Dumpinglöhne zahlen könne. (Aber das darf
man natürlich nicht so laut sagen, nur denken!) Deswegen hat
man alle möglichen Scheinargumente auf den Tisch gepackt. Der
BAT bzw. die AVR seien so unflexibel, so kompliziert, so starr, so
undurchschaubar, so leistungsfeindlich, usw. Der Markt, so
schließlich der Gipfel der Argumentation, verlange nach
flexiblen, betriebsangepaßten, öffnungsfreudigen
Tarifsystemen, und nur dann könne man auf ihm als soziale
Einrichtung überleben.
Angezettelt wurde diese Disskussion bereits vor längerem
durch die finanziell potenten Träger großer
diakonischer Einrichtungen, zusammengeschlossen im Verband
diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD).
Die machten Anfang Februar 99 in München auf einem
Kongreß ihre Absicht des BAT-Ausstiegs publik. Und die
katholischen Tagungsgäste nickten begeistert.
Bei den Evangelen ist die Diskussion bereits weit
fortgeschritten und hat Grundzüge eines "neuen
Entgeltsystems" gezeitigt, bei dem der Teufel jedoch wie
üblich im Detail steckt. Der Verdacht läßt sich
nicht entkräften, daß bei den unteren Lohngruppen
gespart werden soll, während die oberen durch einen
kräftigen "Bonus" ihr vortreffliches Gehalt noch aufbessern
können.
Jetzt ist die öffentliche Diskussion auf den Bereich der
Caritas übergeschwappt. KNA hat den Referatsleiter
Arbeitsrecht beim Deutschen Caritasverband in Freiburg, Norbert
Beyer, zum Thema BAT-Ausstieg interviewt. Pikanterweise ist Beyer
auch Geschäftsführer der Arbeitsrechtlichen
Kommission.
Das hat wiederum die Mitarbeiterseite in der Arbeitsrechtlichen
Kommission auf den Plan gerufen, die auch flugs eine Stellungnahme
dazu abgab. KNA sorgte für Verbreitung.
Diese Sondernummer bietet Ihnen in zeitlicher Reihenfolge eine
Dokumentation der verschiedenen Stufen dieser öffentlichen
Diskussion
(Anmerkung: diese liegt noch nicht digitalisiert vor und
kann daher an dieser Stelle nicht wiedergegeben werden).
Eine weitere wird demnächst im März auf Tagungen in
Eichstätt und Mainz erklommen. Haben Sie sich schon dazu
angemeldet? Es tut sich was in der Landschaft. Diskutieren Sie
mit! Es lohnt sich.
"Alles muß auf den Prüfstand"
Arbeitsrechtler Beyer über den Abschied vom BAT bei der
Caritas
Mitarbeiter in Einrichtungen der Caritas und der Diakonie
befürchten derzeit, daß die Löhne sinken. Grund
dafür ist, daß kirchliche Arbeitgeber diskutieren, wie
sie sich dem härter werdenden Wettbewerb stellen. Der Leiter
des Referats Arbeitsrecht beim Deutschen Caritasverband, Norbert
Beyer, äußerte sich in einem Interview der Katholischen
Nachrichten-Agentur (KNA) am Freitag in Freiburg zu den
Plänen.
KNA: Der Verband diakonischer Dienstgeber hat
vorgeschlagen, daß sich Einrichtungen der Diakonie und der
Caritas künftig nicht mehr an den Bundesangestelltentarif
(BAT) anlehnen sollen. Wie ist Ihre Position?
Beyer: Die Vorschläge sind nachvollziehbar. Seit
einigen Jahren öffnet sich eine gefährliche Schere, von
der wir nicht wissen, wie wir sie schließen sollen. Die
Personalkosten steigen viel stärker als die uns zugewiesenen
Budgets. Krankenhäuser werden seit 1992 gedeckelt, das
heißt das Budget wird nur in geringem Maße
erhöht. Damit können wir den steigenden
Personalkostenanteil nicht mehr ausgleichen. Außerdem
spüren wir auch den Rückgang der Kirchensteuern. Das
kann kein Unternehmen verkraften, auch die Caritas nicht. Auf
Dauer ist damit der Bestand unserer Angebote gefährdet.
KNA: Heißt das, Mitarbeiter werden entlassen?
Beyer: Das wollen wir ja gerade vermeiden. Das schaffen
wir aber nur, wenn wir das Vergütungssystem überdenken.
Der BAT, an den wir uns bisher angelehnt haben, scheint dafür
nicht mehr geeignet. Die Regelungen sind zu kompliziert. Bei den
Ortszuschlägen blicken nur noch die Eingeweihten durch. Es
ist auch zu prüfen, ob jemand automatisch höher
gruppiert wird, nur weil er soundsoviele Jahre in der Einrichtung
arbeitet. Das BAT-System ist eher auf Mitarbeiter einer
Stadtbehörde zugeschnitten, die nicht mit anderen Anbietern
konkurrieren müssen.
KNA: Wo macht Ihnen der Wettbewerb zu schaffen?
Beyer: Es gibt inzwischen einen regelrechten sozialen
Markt, auf dem sich viele Anbieter tummeln. Private Pflegedienste
machen uns das Leben schwer, weil sie oft dieselben Angebote
haben, aber zu viel günstigeren Preisen. Das schaffen sie,
weil sie zum Beispiel nur 630-Mark-Jobs vergeben oder die
Mitarbeiter geringer vergüten als nach BAT. Ein anderes
Beispiel: Reinigungskräfte und Küchenpersonal sind viel
billiger über private Anbieter zu bekommen. Da ist die
Versuchung groß, diesen Bereich auszugliedern. Die Caritas
muß sich deshalb dem Wettbewerb stellen. Dabei dürfen
Qualitätsmanagement und Leitbildprozesse für kirchliche
Häuser keine Fremdwörter mehr sein.
KNA: Arbeitnehmer befürchten, daß sich hinter
diesen Begriffen nur Stellenabbau oder schlechtere Löhne
verbergen. Schon heute ist es doch ein Problem, daß
Fachkräfte der Caritas den Rucken kehren, weil sie zu wenig
verdienen.
Beyer: Man darf nicht nur den Streit um den BAT sehen,
sondern wir brauchen ein Gesamtkonzept mit einer Weiterentwicklung
unserer tariflichen Regelungen. Denkbar sind ergebnisorientierte
Zulagen für den Fall, daß eine Einrichtung
zufriedenstellend wirtschaftet, also ausgelastet ist. Alle
bisherigen Leistungen müssen auf den Prüfstand. Das
heißt nicht generell: runter mit den Löhnen. Aber es
kann sein, daß beim Weihnachtsgeld gekürzt werden
muß, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Eines ist klar:
Die Zeiten, als alle Lohnerhöhungen undiskutiert
weitergegeben wurden, sind bei der Caritas vorbei.
KNA: Wieviel Stellen stehen auf der Kippe?
Beyer: Dazu gibt es keine Erhebungen und keine Zahlen.
Uns geht es darum, die Arbeitsplätze zu sichern. Aber die
Politiker müssen zur Kenntnis nehmen, daß wir das nicht
schaffen, wenn immer mehr gedeckelt wird. Die Deutsche
Krankenhausgesellschaft hat hochgerechnet, was die Deckelung
konkret bedeutet. Wenn die Tariferhöhung um 5,5 Prozent
durchgesetzt wird, entsteht ein Gesamtdefizit von 2,8 Milliarden
Mark. In den westdeutschen Ländern ist für 1999 eine
Budgeterhöhung von 1,6 Prozent, im Osten gar eine Minderung
um 0,7 Prozent zu erwarten. Durch dieses Mißverhältnis
sind 40.000 Stellen in allen deutschen Krankenhäusern
gefährdet.
Interview: Dieter Klink (KNA)
Hinweis: Foto (Beyer)1 auch per ISDN, abrufbereit bei KNA-Bild,
Röntgenstraße 9, 60388 Frankfurt/Main, Telefon:
06109/7036-0, Telefax: 06109/703612.
Stellungnahme der Sprechergruppe der
Dienstnehmerseite in der Arbeitsrechtlichen Kommission zum
Interview des Referatsleiters Arbeitsrecht des Deutschen
Caritasverbandes Freiburg, Herrn Norbert Beyer
Herr Beyer hat sich in einem KNA-Interview zum Thema Ausstieg
der Caritas aus dem BAT geäußert. Er hatte dabei, wie
aus dem Text hervorgeht, vor allem die Katholischen
Krankenhäuser im Auge, deren gedeckelte Budgets mit der
Personalkostenentwicklung kaum mehr Schritt zu halten
vermögen.
Dieses Problem trifft jedoch die kommunalen Krankenhäuser
in genau der gleichen Weise. Es wird abzuwarten bleiben, welche
Lösung die Tarifparteien im Öffentlichen Dienst für
den Krankenhausbereich finden werden. Die Lösungen
könnten z.B. ein spezieller Abschluß für die
Krankenhäuser sein, oder eine Abkoppelung des gesamten
Tarifbereichs für die Krankenhäuser.
Ein großer Teil der Caritasarbeit wird aber über
Vereinbarungen mit staatlichen Ämtern oder Sozialhilfe- oder
Sozialversicherungsträgern refinanziert, z.B. die
Einrichtungen der Jugend-, der Behinderten- und der Altenhilfe.
Diesen Refinanzierungsvereinbarungen liegen meist
Personalkostenhochrechnungen auf BAT-Basis zugrunde. Es wäre
daher äußerst unklug, wenn die Caritas insgesamt aus
dieser gemeinsamen Verhandlungsgrundlage aussteigen
würde.
Ein Teil der Caritasarbeit, vor allem die "offene"
Beratungsarbeit, wird, soweit sie nicht gänzlich durch
Zuschüsse kommunaler Körperschaften gedeckt sind, auch
durch Kirchensteuereinnahmen mit unterstützt. Diese Mittel
machen jedoch nur einen geringen Bruchteil der Gesamt-Finanzierung
aus. Die Kirche würde sich wohl schwer tun, für ihren
eigenen Bereich nach wie vor den BAT in fast unveränderter
Form anzuwenden, für ihren Caritasbereich aber den BAT aber
auszuschließen.
Daß der BAT in seinem Aufbau und seinen Regelungen seine
Herkunft vom Beamtenrecht und von den Aufgaben einer Verwaltung
nicht verleugnen kann, ist unbestritten. Aber Kirche wie Caritas
scheuten bisher den Aufwand, um eigenes besseres System zu
entwickeln. Wenn das so einfach wäre, hätte es sicher
schon jemand erfunden.
Es stecken jedoch noch mehr Probleme hinter der Materie:
z.B. die Einheit des Kirchlichen Arbeitsrechtes. Kirchen- und
Caritasbereich hielten sich bisher ziemlich eng an die
Vergütungs- und Rahmenbedingungen des Öffentlichen
Dienstes. Zwar hat fast jede kirchliche Vergütungsordnung
einen anderen Namen, aber gemeinsamer Nenner aller kirchlichen wie
caritativen Arbeitsrechtsordnungen ist der BAT. Stiege die Caritas
aus dem BAT zur Gänze aus, würde sie die Einheit des
kirchlichen Arbeitsrechts für fast zwei Drittel der
Mitarbeiter im kirchlichen Dienst verlassen. Dieser politische
Schritt will wohl überlegt sein.
z.B. das tragende Prinzip der Dienstgemeinschaft. Kirche wie
Caritas waren bisher stolz darauf, ihre Dienste unabhängig
von der Stellung, der Arbeit und der Funktion der jeweiligen
Arbeitnehmer unter dem Prinzip der Dienstgemeinschaft
zusammenzufassen. Werden einzelne Bereiche unter Hinweis auf
Markterfordernisse ausgegliedert, bedeutet das, daß das
tragende theologische Prinzip der Dienstgemeinschaft
wirtschaftlichen Erfordernissen untergeordnet wird. Diese
Konsequenz würde sich theologisch verheerend auswirken, da
letztlich Marktbedingungen darüber entscheiden würden,
ob jemand der Dienstgemeinschaft angehört oder nicht. Das
Problem trifft erschwerend vor allem die unteren Lohngruppen, hat
also zusätzlich einen eindeutig sozial diskrimierenden
Hintergrund. Auch dieses Problem sollte sorgfältig durchdacht
werden, bevor man es hemdsärmelig zugunsten von Markte
rfordernissen "löst".
z.B. das Prinzip der kollektiven Rechtsetzung im
Kirchenbereich. Die Kirche hat sich auf ein System
paritätischer Kommissionen festgelegt ("Dritter Weg"), deren
Beschlüssen der Bischof durch seine Rechtsetzungsbefugnis in
den Diözesen Rechtskraft verleiht. Geltung erlangen sie aber
nur durch einzelvertragliche Inbezugnahme im jeweiligen
Einzelarbeitsvertrag. Ob die von Dritten (nämlich von den
Kommissionen des Dritten Weges) getroffenen Vereinbarungen Recht
und Billigkeit entsprechen, hängt nach Meinung der
Rechtsprechung davon ab, wieweit die Tarifvereinbarungen
"tarifmächtiger" Partner dabei Pate standen. Ein Ausstieg aus
dem BAT hätte vermutlich erst einmal eine
Billigkeitskontrolle weltlicher Gerichte zur Folge,
unabhängig davon, ob ein Bischof einen
Kommissionsbeschluß unterschreibt oder nicht. Auch diese
Folge will wohl bedacht sein, bevor man sie durch Abkehr vom BAT
provoziert.
z.B. die Frage der Gemeinnützigkeit. Bisher wurden
caritative Betriebe nicht als gewinnorientierte Betriebe
geführt, sie waren daher über die
Gemeinnützigkeitsbestimmungen des Steuerrechtes
steuerbefreit, durften aber auch keine Gewinne erzielen. Wer
caritative Einrichtungen als Gewinnbetriebe führen will, um
mit den Gewinnen Leistungszulagen, Erfolgsprämien oder
ähnliches zu erwirtschaften, unterfällt dem ganz
normalen Steuerrecht für normale gewinnorientierte Betriebe
und verliert die Gemeinnützigkeit. Dann muß man auch
die Frage stellen, warum die Kirche Wirtschaftsbetriebe
führt, und warum man für Wirtschaftsbetriebe
Kirchensteuern oder gar Spenden locker machen soll. Für
Wirtschaftsbetriebe braucht man schließlich keine
Kirche.
Es ist nach Ansicht der Dienstnehmerseite zu kurz gedacht, wenn
Beyer meint, man bräuchte ein Gesamtkonzept für die
Weiterentwicklung unserer tariflichen Regelungen. Auch die Frage
eines Leistungslohnes betrifft nicht den Kern des Problems. Das
eigentliche Kernproblem steckt unseres Erachtens darin, daß
die gesamte Finanzierung des sozialen Sektors ins Rutschen
gekommen ist. Der Markt ist nur für Leute da, die sich
bestimmte Dienstleistungen auch leisten können. Doch die
meisten Klienten und Inanspruchnehmer sozialer Dienste sind
Käufer ohne Geld. Andere Finanziers bestimmen den Preis,
für den Empfänger bestimmte Leistungen erhalten. Das hat
jedoch nichts mit Markt zu tun, sondern mit Monopolstellungen von
Anbietern und von Finanziers.. Es kann nicht sein, daß die
ungelösten Probleme der Finanzierung sozialer Dienste und
Einrichtungen über die Lohnkosten voll auf dem Rücken
der Beschäftigten im sozialen Dienst gelöst werden.
Soziale Leistungen zu Dumpingpreisen dienen weder Einrichtungen,
Klienten noch Arbeitnehmern. Aber sie machen auf Dauer mit
Sicherheit unsere sozialen Errungenschaften und Einrichtungen
kaputt. Es kann nicht Ziel der Tarifpolitik sein, ganze Branchen
kaputtzusparen, nur weil der Markt es angeblich erfordert. Ziel
der Tarifpolitik muß sein, auch die Beschäftigten in
den sozialen Dienstleistungsberufen an der allgemeinen Steigerung
des Bruttosozialproduktes teilhaben zu lassen. Dieses Ziel ist
derzeit massiv gefährdet. Es besteht die Gefahr, daß
die Beschäftigten der sozialen Dienste den Anschluß an
die allgemeine Gehaltsentwicklung verlieren und reihenweise aus
der sozialen Arbeit aussteigen bzw. gar nicht mehr dort zu
arbeiten beginnen.
Bevor man auf diese Entwicklung abfährt, sollte man noch
einmal darüber nachdenken, ob man das überhaupt
will.
10.02.99
wbf
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