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BAG - Urteil - 5 AZR 334/95 - 06.11.96

Vorinstanz:

I. Arbeitsgericht Bocholt - Urteil vom 19. August 1994 - 2 Ca 2899/93 -; II.

Landesarbeitsgericht Hamm - Urteil vom 10. Januar 1995 - 7 Sa 1720/94

 

Norm:

AVR-Caritasverband § 10a;

BAT SR 2 a Nr. 7;

GG Art. 12;

TVG § 4 Abs. 1, § 3 Abs. 1;

ZPO §§ 295, 558;

GmbHG §§ 35, 44

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Leitsatz:

 

1. Für die Inhaltskontrolle kirchlicher Arbeitsvertragsrichtlinien sind die

für Tarifverträge geltenden Maßstäbe heranzuziehen, soweit

Tarifvertragsregelungen ganz oder mit im wesentlichen gleichen Inhalten

übernommen werden (Abgrenzung zu BAG Urteil vom 17. April 1996 - 10 AZR

558/95 - AP Nr. 24 zu § 611 BGB Kirchendienst).

 

2. Die Regelung über die Rückzahlung der Kosten der Weiterbildung zum

Fachkrankenpfleger in § 10 a AVR-Caritas ist wirksam (Ergänzung zu BAG

Urteil vom 6. September 1995 - 5 AZR 174/94 - AP Nr. 22 zu § 611 BGB

Ausbildungsbeihilfe).«

 

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Tatbestand:

Die Parteien streiten über die teilweise Erstattung der Kosten der

Weiterbildung des Klägers zum Operations-Fachpfleger nach Maßgabe des § 10 a

der Arbeitsvertragsrichtlinien des Deutschen Caritasverbandes (AVR-Caritas).

 

Der 1959 geborene Kläger war vom 1. Juli 1989 bis zum 30. Juni 1993 bei der

Beklagten als Operations-Pfleger beschäftigt. Kraft Arbeitsvertrags galten

für das Arbeitsverhältnis die "Richtlinien für Arbeitsverträge in den

Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) in ihrer jeweils

geltenden Fassung". Die AVR-Caritas und deren Änderungen treten mit der

Veröffentlichung in der "Caritas-Korrespondenz " zu dem jeweils genannten

Zeitpunkt in Kraft.

 

Der Kläger erhielt zunächst Vergütung nach der VergGr. Kr 5 AVR-Caritas.

Noch innerhalb der bis zum 31. Dezember 1989 andauernden Probezeit wurde der

Kläger in die VergGr. Kr 5 a AVR-Caritas höhergruppiert.

 

Der Kläger bewarb sich im Rahmen des Personalbedarfs der Beklagten und auf

deren Veranlassung um eine Weiterbildung zum Fachpfleger für den

Operationsdienst bei der "Ausbildungsstätte für die Weiterbildung im

Operationsdienst", die von der Beklagten und weiteren neun Krankenhäusern

getragen wird. Mit dieser Ausbildungsstätte schloß der Kläger unter dem

18./20. September 1989 einen "Weiterbildungsvertrag". Der

Weiterbildungsvertrag enthält keine Regelung über die Kosten der

Weiterbildung oder deren Rückzahlung. Der Lehrgang umfaßte 891

Unterrichtsstunden, davon 541 Stunden theoretischer Unterricht und 350

Stunden praktische Einweisung.

 

Die Arbeitsrechtliche Kommission des Deutschen Caritas-Verbandes beschloß am

29. August 1989 rückwirkend ab 1. August 1989 Änderungen der AVR-Caritas.

U.a. wurde ein neuer § 10 a eingefügt. Er lautet:

 

"§ 10 a Fort- und Weiterbildung

 

(1) Wird ein Mitarbeiter im Pflegedienst, der unter die Anlage 2 a zu den

AVR fällt, auf Veranlassung und im Rahmen des Personalbedarfs des

Dienstgebers fort- oder weitergebildet, werden, sofern keine Ansprüche gegen

andere Kostenträger bestehen, vom Dienstgeber

 

a) dem Mitarbeiter, soweit er freigestellt werden muß, für die notwendige

Fort- oder Weiterbildungszeit die bisherigen Dienstbezüge (Abschnitt II der

Anlage 1 zu den AVR) fortgezahlt und

 

b) die Kosten der Fort- oder Weiterbildung getragen.

 

(2) Der Mitarbeiter ist verpflichtet, dem Dienstgeber die Aufwendungen für

eine Fort- oder Weiterbildung im Sinne des Absatzes 1 nach Maßgabe des

nachfolgenden Unterabsatzes 2 zu ersetzen, wenn das Dienstverhältnis auf

Wunsch des Mitarbeiters oder aus einem von ihm zu vertretenden Grunde endet.

Satz 1 gilt nicht, wenn die Mitarbeiterin

 

a) wegen Schwangerschaft oder

 

b) wegen Niederkunft in den letzten drei Monaten gekündigt oder einen

Auflösungsvertrag geschlossen hat.

 

Zurückzuzahlen sind, wenn das Dienstverhältnis endet

 

a) im ersten Jahr nach Abschluß der Fort- oder Weiterbildung, die vollen

Aufwendungen,

 

b) im zweiten Jahr nach Abschluß der Fort- oder Weiterbildung, zwei Drittel

der Aufwendungen,

 

c) im dritten Jahr nach Abschluß der Fort- oder Weiterbildung, ein Drittel

der Aufwendungen.

 

In besonders gelagerten Fällen kann von der Rückzahlungsregelung zugunsten

des Mitarbeiters abgewichen werden."

 

Zugleich wurden die Vergütungsgruppen geändert, u.a. im Hinblick auf die

Eingruppierung von Krankenschwestern und -pflegern mit erfolgreich

abgeschlossener Weiterbildung für den Operationsdienst (VergGr. Kr 5 a Nr. 2

a), Bewährungsaufstieg nach VergGr. Kr 6 Nr. 1, Leitungsaufgaben im

Operationsdienst (VergGr. Kr 7 Nr. 3, Kr 8 Nr. 2, Kr 9 Nr. 2) sowie hierauf

aufbauender Bewährungsaufstieg (Kr 10 Nr. 1).

 

Der Kläger nahm mit Erfolg an dem Weiterbildungslehrgang zum

Operationspfleger teil; er wurde auch dementsprechend eingesetzt. Bereits ab

August 1991 und damit kurz vor Abschluß des Lehrgangs (30. September 1991),

wurde er in die VergGr. Kr 6 AVR-Caritas höhergruppiert.

 

Im April 1993 kündigte der Kläger sein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten

fristgemäß zum 1. Juli 1993. Mit Schreiben vom 13. Mai 1993 forderte die

Beklagte den Kläger auf, zwei Drittel der Lehrgangskosten von 12.060,24 DM,

nämlich 8.040,16 DM zurückzuzahlen. Die Lehrgangskosten setzen sich zusammen

aus den Personalkosten der Beklagten für die Zeiten, in denen der Kläger

während seiner Arbeitszeit an der Weiterbildung teilgenommen hatte (4.242,24

DM) und den Kursgebühren (9.600,00 DM) abzüglich einer Erstattung des

Arbeitsamtes in Höhe von 1.782,00 DM. In Höhe von insgesamt 4.109,89 DM hat

die Beklagte mit ihrer Rückforderung gegenüber restliche Nettobezüge des

Klägers für die Zeit ab Mai 1993 unter Einhaltung der Pfändungsgrenzen

aufgerechnet. Insoweit verfolgt der Kläger seine Gehaltsforderungen gegen

die Beklagte. Den überschießenden Betrag ihrer Rückforderung macht die

Beklagte im Wege der Widerklage gegen den Kläger geltend.

 

Der Kläger vertritt die Auffassung, zur Rückzahlung nicht verpflichtet zu

sein. Er habe mit der Beklagten keine Rückzahlungsvereinbarung getroffen.

Auf § 10 a AVR-Caritas dürfe sich die Beklagte nicht berufen, zumal sie ihn

vor Beginn der Weiterbildungsmaßnahme nicht auf diese gerade erst

beschlossene Bestimmung hingewiesen habe. Hiervon habe er erst nach Beginn

der Weiterbildungsmaßnahme erfahren. Er habe aus der Weiterbildung auch

keinen geldwerten Vorteil gezogen.

 

Der Kläger hat beantragt,

 

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.109,89 DM nebst 10 % Zinsen p.a.

hieraus seit dem 1. August 1993 zu zahlen und die Widerklage abzuweisen.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen und im Wege der Widerklage den Kläger zu verurteilen,

an die Beklagte 3.930,27 DM nebst 10 % Zinsen p.a. hieraus seit dem 1.

August 1993 zu zahlen.

 

Sie hat geltend gemacht, § 10 a AVR-Caritas sei anzuwenden. Die

Qualifizierung des Klägers sei von Anfang an mit einer höheren Vergütung

verbunden gewesen. Der Kläger habe auch persönlichen Nutzen aus der

Fortbildung gezogen: Ab 1. August 1991 sei er höhergruppiert worden. Ab 1.

Juli 1993 habe er zunächst bei einer Fachfirma für medizinischen Bedarf als

Außendienstmitarbeiter gearbeitet; seit September 1994 sei er als

Krankenpfleger in der VergGr. Kr 6 AVR-Caritas im Marinehospital B tätig.

 

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen.

Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage

stattgegeben. Mit seiner Revision will der Kläger die Zurückweisung der

Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil erreichen.

 

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Entscheidungsgründe:

 

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Die Revision des Klägers ist - bis auf die von der Beklagten zu tragenden

anteiligen Beiträge zur Sozialversicherung - nicht begründet. Das

Landesarbeitsgericht hat im übrigen richtig entschieden. Die Klage ist

unbegründet, die Widerklage ist weitgehend begründet. Der Kläger hat nach §

10 a Abs. 2 Unterabs. 2 Buchst. b AVR-Caritas (mit dem seit dem 1. August

1989 geltenden Inhalt - künftig § 10 a AVR-Caritas) zwei Drittel der

erstattungsfähigen Kosten seiner Weiterbildung zum Operations-Fachpfleger

zurückzuzahlen.

 

I. Die Klage ist unbegründet, weil die Ansprüche des Klägers auf

Arbeitsentgelt (§ 611 BGB) für die Zeit ab Mai 1993 in Höhe der

Klageforderung von insgesamt 4.109,89 DM erloschen sind. Insoweit hat die

Beklagte ihre Rückzahlungsforderung unter Einhaltung der

Pfändungsfreigrenzen gegen restliche Forderungen des Klägers auf

Arbeitsentgelt wirksam aufgerechnet (§§ 387, 388, 389, 394 Satz 1 BGB, §§

850 f. ZPO). Dies hat das Landesarbeitsgericht richtig erkannt.

 

1. Rechtsgrundlage für den Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung der

anteiligen Kosten der Weiterbildung ist § 10 a AVR-Caritas mit dem seit dem

1. August 1989 geltenden Inhalt. Diese Bestimmung ist aufgrund der

Vereinbarung der Parteien im Arbeitsvertrag anzuwenden.

 

a) Die Bestimmungen der AVR-Caritas entfalten für das einzelne

Arbeitsverhältnis unmittelbar keine normative Wirkung, sondern sind nur

kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung anzuwenden (ständige Rechtsprechung,

statt vieler: BAG Urteile vom 14. Juni 1995 - 4 AZR 250/94 - AP Nr. 7 zu §

12 AVR Caritasverband; vom 26. Juli 1995 - 4 AZR 318/94 - AP Nr. 8 zu § 12

AVR Caritasverband, jeweils unter II 1 a der Gründe, m.w.N.). Dabei kann

dahingestellt bleiben, ob den AVR-Caritas mit Rücksicht auf Art. 140 GG,

Art. 137 Abs. 3 WRV "normativer Charakter" zukommt (Jurina, Das Dienst- und

Arbeitsrecht im Bereich der Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland, 1979,

S. 68; vgl. auch Mayer-Maly, Anm. zu AP Nr. 1 zu § 7 AVR Caritasverband).

Denn auch dann bedarf es des Abschlusses eines Arbeitsvertrags, durch den

die Anwendung der AVR-Caritas auf das Arbeitsverhältnis vereinbart wird.

 

b) Eine solche arbeitsvertragliche Vereinbarung liegt hier vor. Nach § 2 des

Arbeitsvertrags gelten für das Arbeitsverhältnis "die Richtlinien für

Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) in

ihrer jeweils geltenden Fassung". Wegen dieser dynamischen Verweisung steht

die Tatsache, daß es den neuen § 10 a AVR-Caritas noch nicht gegeben hat,

als die Parteien den Arbeitsvertrag abgeschlossen haben (23. Mai 1989), der

arbeitsvertraglichen Geltung dieser Bestimmung nicht entgegen.

 

c) Voraussetzung für die Geltung des § 10 a AVR-Caritas ist ferner, daß

diese Norm in den Caritas-Richtlinien bekanntgegeben worden ist. Hiervon ist

auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen, indem es ausgeführt hat, die

bekanntgegebenen Veränderungen hätten das Arbeitsverhältnis der Parteien

automatisch gestaltet. Über die Veröffentlichung des § 10 a AVR-Caritas

(Beschluß vom 29. August 1989) haben die Parteien in den Vorinstanzen nicht

gestritten. Soweit der Kläger erstmals in der Revision geltend macht, das

Landesarbeitsgericht habe die Veröffentlichung des § 10 a AVR-Caritas nicht

festgestellt, handelt es sich um eine Verfahrensrüge. Ihr bleibt der Erfolg

versagt. Der Kläger macht nicht geltend, daß die Veröffentlichung nicht

erfolgt sei. Tatsächlich ist diese Änderung in einem Sonderheft der

Caritas-Korrespondenz Anfang Oktober 1989 veröffentlicht worden.

 

d) Der Umstand, daß § 10 a AVR-Caritas sowie die damit zusammenhängen

Änderungen der Vergütungsregelungen in der ab 1. August 1989 geltenden

Fassung erst ein paar Tage nach Beginn der vorliegenden

Weiterbildungsmaßnahme (1. Oktober 1989), nämlich Anfang Oktober 1989

veröffentlicht worden und rückwirkend in Kraft gesetzt worden sind, steht

der Anwendung dieser Bestimmungen auf das Arbeitsverhältnis der Parteien

hinsichtlich der in Rede stehenden Weiterbildungsmaßnahme nicht entgegen.

 

Es liegt kein Fall der Rückwirkung vor. Eine Rückwirkung setzt voraus, daß

eine vom Betroffenen nicht beeinflußbare Regelung nachträglich in eine von

ihm erworbene und für ihn schützenswerte Rechtsposition eingreift. Für den

Kläger hätte eine solche Rechtsposition vorliegend nur darin bestehen

können, daß seine Weiterbildung zum geprüften Operationspfleger auf Kosten

der Beklagten und ohne Rückzahlungsverpflichtung im Fall vorzeitigen

Ausscheidens erfolgen sollte. Eine solche Rechtsposition hatte der Kläger

jedoch weder einzelvertraglich noch nach den Regelungen in den AVR-Caritas

erworben, als er mit seiner Weiterbildung begann. Einzelvertraglich hatten

die Parteien nichts vereinbart. In den AVR-Caritas war hierüber ebenfalls

nichts geregelt. Vielmehr sind die Kostentragung und -erstattung für Fälle

der Weiterbildung u. a. zum geprüften Operationspfleger erstmals im neuen §

10 a AVR-Caritas aufgrund des Beschlusses vom 29. August 1989 für die Zeit

ab 1. August 1989 geregelt worden.

 

e) Die Beklagte handelt auch nicht treuwidrig (§ 242 BGB), wenn sie sich

vorliegend auf die Rückzahlungsregelung des § 10 a AVR-Caritas stützt. Zum

einen hat der Kläger nicht behauptet, er habe bei Abschluß des

Weiterbildungsvertrages oder bei Beginn der Weiterbildungsmaßnahme darauf

vertraut, jederzeit fristgemäß bei der Beklagten auf eigenen Wunsch

ausscheiden zu dürfen, ohne (im Umfang des § 10 a AVR-Caritas) zur

Rückzahlung der Fortbildungskosten verpflichtet zu sein. Überdies wäre ein

etwaiges Vertrauen des Klägers, vor Ablauf von drei Jahren nach Beendigung

der Weiterbildungsmaßnahme ohne jede Kostenerstattung auf eigenen Wunsch bei

der Beklagten ausscheiden zu können, auch erschüttert. Der stellvertretende

Geschäftsführer H der Beklagten hatte den Kläger nämlich schon vor Beginn

der Weiterbildung auf den Beschluß der Arbeitsrechtlichen Kommission zu § 10

a AVR-Caritas hingewiesen. Als der Kläger später ordentlich kündigte, hat er

gegenüber dem Zeugen H nochmals bestätigt, von H auf die Rückzahlungsklausel

des § 10 a AVR-Caritas hingewiesen worden zu sein. Die Rüge des Klägers, das

Landesarbeitsgericht habe § 383 ZPO verletzt, weil der stellvertretende

Geschäftsführer H nicht als Zeuge hätte vernommen werden dürfen, ist nach §

558 ZPO unzulässig. Der Kläger rügt damit einen nach § 295 Abs. 1 ZPO

verzichtbaren Verfahrensmangel in der Berufungsinstanz (vgl. BGH LM § 295

ZPO Nr. 2). Das Rügerecht hatte der Kläger bereits im Berufungsrechtszug

verloren. In Kenntnis des Umstands, daß der Zeuge H stellvertretender

Geschäftsführer des Beklagten ist (vgl. dessen Aussage zur Person), hat der

Kläger nach Vernehmung des Zeugen in der Sache selbst weiterverhandelt, ohne

die Rüge zu erheben.

 

2. Auch inhaltlich ist die Rückzahlungsklausel in § 10 a Abs. 2 AVR-Caritas

wirksam. Sie verstößt trotz der Bindungswirkung nicht gegen zwingendes

Recht, insbesondere nicht gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12

Abs. 1 GG). Nach dieser Rückzahlungsklausel sind - von hier nicht

vorliegenden Sonderfällen abgesehen - die Aufwendungen i.S.d. § 10 a Abs. 1

AVR-Caritas bei einer Kündigung im ersten Jahr nach Beendigung der Fort-

oder Weiterbildung voll zurückzuzahlen, im zweiten Jahr zu zwei Dritteln und

im dritten Jahr zu einem Drittel.

 

a) Für die Inhaltskontrolle kirchlicher Arbeitsvertragsrichtlinien im

Hinblick auf die Wahrung der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) sind die für

Tarifverträge anzuwendenden Maßstäbe heranzuziehen, zumindest soweit in die

Arbeitsvertragsrichtlinien die entsprechenden Tarifvertragsregelungen des

öffentlichen Dienstes für gleichgelagerte Sachbereiche ganz oder mit im

wesentlichen gleichen Inhalten "übernommen" werden, die dann kraft

arbeitsvertraglicher Vereinbarung für das einzelne Arbeitsverhältnis gelten

(vgl. LAG Berlin Urteil vom 3. Mai 1984 - 7 Sa 8/84 - AP Nr. 19 zu Art. 140

GG).

 

aa) Bei tarifvertraglichen Regelungen ist es nicht Sache der Gerichte zu

prüfen, ob jeweils die gerechteste oder zweckmäßigste Regelung gefunden

wurde. Tarifverträge sind allein daraufhin zu untersuchen, ob sie gegen die

Verfassung, gegen anderes höherrangiges zwingendes Recht oder gegen die

guten Sitten verstoßen (BAG Urteil vom 6. September 1995 - 5 AZR 174/94 - AP

Nr. 22 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, zur Veröffentlichung auch in der

Amtlichen Sammlung bestimmt, unter III 1 der Gründe, m.w.N.). Dabei sind

keine anderen Prüfungsmaßstäbe heranzuziehen, wenn die Tarifnormen nicht

kraft Tarifbindung, sondern kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung

anzuwenden sind (BAG Urteil vom 6. September 1995 - 5 AZR 174/94 - AP Nr. 22

zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, mit Anm. von Hoyningen-Huene). Auch bei

einer nur einzelvertraglichen Bezugnahme auf tarifvertragliche Regelungen

bedarf es einer einzelvertraglichen Billigkeitskontrolle (§§ 315 oder 317

BGB) der in Bezug genommenen Tarifregelungen nicht, soweit es sich um

Gesamt- oder Globalbezugnahmen auf den ganzen Tarifvertrag oder auf

einzelne, inhaltlich und sachlich zusammenhängende Regelungskomplexe

handelt. Auch in solchen Fällen ist von der grundsätzlichen

Richtigkeitsgewähr der einbezogenen Tarifvertragsnormen auszugehen (vgl.

Preis, Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, S. 398).

 

bb) Bei den Arbeitsvertragsrichtlinien der Katholischen Kirche und denen der

Evangelischen Kirche handelt es sich zwar nicht um Tarifverträge. Die

unterschiedlichen Methoden, nach denen Arbeitsvertragsrichtlinien einerseits

und Tarifverträge andererseits entstehen, haben jedoch nicht zur Folge, daß

für Arbeitsvertragsrichtlinien, mit denen Tarifregelungen übernommen werden,

andere Maßstäbe zu gelten haben.

 

Die sog. materielle Richtigkeitsgewähr der Tarifverträge beruht darauf, daß

Tarifverträge von gleichberechtigten Partnern des Arbeitslebens, denen

notfalls auch das Mittel des Arbeitskampfs zur Verfügung steht, ausgehandelt

werden und daß derartige Tarifverträge eine Institutsgarantie gem. Art. 9

Abs. 3 GG genießen. Derart ausgehandelte Tarifverträge haben die Vermutung

für sich, daß sie den Interessen beider Seiten gerecht werden und keiner

Seite ein unzumutbares Übergewicht vermittelt wird.

 

Arbeitsvertragsrichtlinien entstehen dagegen auf dem "Dritten Weg". Es

handelt sich bei ihnen nicht um Tarifverträge, sondern um eigenständige

Regelungen. Das Mittel des Arbeitskampfes steht keiner Seite zur Verfügung.

Für die Caritas beschließt die auf Kirchenverfassungsrecht gegründete

Arbeitsrechtliche Kommission Arbeitsvertragsrichtlinien als eigene

Regelungswerke. Die Arbeitsrechtliche Kommission ist von der Kirchenleitung

unabhängig und paritätisch mit gewählten Repräsentanten der Arbeitnehmer und

der Arbeitgeber besetzt. Die Beschlüsse bedürfen der Mehrheit von drei

Viertel der Mitglieder der Arbeitsrechtlichen Kommission. Die

Kommissionsmitglieder unterliegen keinen Weisungen und haben eine

gleichermaßen unabhängige Stellung wie die Angehörigen der

Mitarbeitvertretungen der Kirchen. Die Arbeitsrechtliche Kommission hat

grundsätzlich die volle Beschlußkompetenz; zu beachten sind aber für

Ausnahmefälle die Richtlinien der Deutschen Bischofskonferenz (s. im

einzelnen: RGRK-Gehring, Anh. III zu § 630 BGB Rz 145 ff.). Ähnlich verhält

es sich im Bereich der Evangelischen Kirche Deutschlands und vieler

Evangelischer Gliedkirchen sowie der Diakonie. Dort kann jedoch gegen

Beschlüsse der jeweiligen Arbeitsrechtlichen Kommission Einspruch eingelegt

werden, über den dann die jeweils übergeordnete, ebenso paritätisch besetzte

Arbeitsrechtliche Schiedskommission unter neutralem Vorsitz endgültig

entscheidet.

 

Diese Unterschiede gegenüber der Entstehung von Tarifverträgen haben nicht

zur Folge, daß die Arbeitsvertragsrichtlinien, soweit sie einschlägige

tarifvertragliche Regelungen insgesamt übernehmen, einer grundsätzlich

anderen Inhaltskontrolle zu unterziehen wären, als sie bei Tarifverträgen

vorzunehmen ist. Dies folgt aus zwei Erwägungen. Die materielle

Richtigkeitsgewähr tarifvertraglicher Regelungen beruht nicht primär darauf,

daß den Tarifvertragsparteien das Mittel des Arbeitskampfs zur Verfügung

steht, sondern darauf, daß sie als gleichgewichtig durchsetzungsfähig

angesehen werden. Die zuletzt genannte Voraussetzung ist aber innerhalb der

Arbeitsrechtlichen Kommissionen bei den Kirchen gleichermaßen gegeben. Deren

paritätische Besetzung und die Weisungsunabhängigkeit ihrer Mitglieder

gewährleistet, daß keine der beiden Seiten das Übergewicht erreichen kann.

Zusätzlich ergibt sich die mittelbare Richtigkeitsgewähr für Regelungen der

Arbeitsrechtlichen Kommission mittelbar, soweit sie tarifvertragliche

Regelungen einschlägig übernimmt.

 

Der Gesetzgeber respektiert Arbeitsvertragsrichtlinien der Kirchen immer

häufiger im selben Umfang wie Tarifverträge, soweit er tarifdispositives

Recht setzt, indem er insoweit eine Abänderbarkeit der gesetzlichen Regelung

im selben Maß zuläßt wie durch Tarifverträge, z.B. in & 6 Abs. 3 BeschFG, §

21 a Abs. 3 ArbSchG, § 7 Abs. 4 ArbZG. Diese Gleichstellung von

Tarifverträgen und Arbeitsvertragsrichtlinien der Kirchen wird in der

Begründung zu § 7 Abs. 4 ArbZG (vormals § 4 Abs. 3 RegE) ausdrücklich als

"klarstellend" bezeichnet (BT-Drucks. 11/360, S. 19) und insoweit vom

Gesetzgeber als gegeben vorausgesetzt. Auch daraus folgt, daß für die

Inhaltskontrolle kirchlicher Arbeitsvertragsrichtlinien grundsätzlich die

für Tarifverträge geltenden Maßstäbe heranzuziehen sind.

 

Daß Arbeitsvertragsrichtlinien für einen Arbeitsvertrag nur Gültigkeit

erlangen, soweit ihre Geltung im Arbeitsvertrag vereinbart ist, führt zu

keiner anderen Beurteilung. Wie bei der Übernahme von Tarifverträgen ist

lediglich zu prüfen, ob die übernommene tarifliche Regelung nicht gegen die

Verfassung, gegen anderes höherrangiges zwingendes Recht oder gegen die

guten Sitten verstößt. Insbesondere hat in solchen Fällen keine

Billigkeitskontrolle nach § 317 BGB stattzufinden. Ob eine solche

Billigkeitskontrolle in den Fällen angemessen ist, in denen es nicht um die

Übernahme tarifvertraglicher Regelungen geht oder diese nur ihrer Struktur

nach, nicht aber ihren materiellen Werten nach "übernommen" werden (vgl.

insoweit: BAG Urteil vom 17. April 1996 - 10 AZR 558/95 - AP Nr. 24 zu § 611

BGB Kirchendienst = NZA 1997, 55), kann hier dahinstehen. Denn eine solche

Fallkonstellation liegt hier nicht vor.

 

b) Mit Beschluß vom 29. August 1989 hat die Arbeitsrechtliche Kommission des

Deutschen Caritas-Verbandes die tariflichen Regelungen des BAT hinsichtlich

der Fort- und Weiterbildung von Krankenschwestern und -pflegern zu

entsprechenden geprüften Fachkräften im Operationsdienst usw. im

Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und in den Angestellten-Tarifverträgen

der Berufsgenossenschaften (BG-AT) und der Knappschaft (Kn-AT) übernommen,

nämlich in § 10 a AVR-Caritas und in die für die AVR-Caritas neuen

Fallgruppen für Krankenpflegepersonal mit entsprechender fachlicher Fort-

und Weiterbildung und entsprechendem Einsatz nebst - über den BAT

hinausgehend - Regelungen über den Bewährungsaufstieg. Der Regelung in Nr. 7

SR 2 BAT über die Kosten der Fort- und Weiterbildung entspricht der in § 10

a AVR-Caritas; zusätzlich ist dort noch die Möglichkeit aufgenommen worden,

daß in besonders gelagerten Fällen auf die Kostenerstattung verzichtet

werden kann.

 

Die derart übernommenen tarifvertraglichen Bestimmungen verstoßen mit den

Inhalten, die ihnen nach der Rechtsprechung des Senats zukommt, nicht gegen

höherrangiges zwingendes Recht, obwohl sie zu Lasten der Arbeitnehmer von

der Rechtsprechung des Senats zu einzelvertraglichen Klauseln über die

Rückzahlung von Fort- und Weiterbildungskosten abweichen (BAG Urteile vom 6.

September 1995 - 5 AZR 174/94 - AP Nr. 22 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe,

mit Anm. von Hoyningen-Huene sowie - 5 AZR 172/94 -, - 5 AZR 618/94 - und -

5 AZR 744/94 -, alle n.v.). Insbesondere liegt kein Verstoß gegen den

Grundsatz der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) vor. Wegen der Einzelheiten

wird auf die vorgenannten Entscheidungen verwiesen. Dementsprechend sind

auch die hier in Rede stehenden Regelungen in § 10 a AVR-Caritas wirksam.

 

3. Die inhaltlichen Voraussetzungen des § 10 a Abs. 1 AVR-Caritas liegen dem

Grunde nach vor. Auch dies hat das Landesarbeitsgericht richtig erkannt.

 

a) Nach § 10 a Abs. 1 AVR-Caritas muß die Weiterbildung des Arbeitnehmers

auf Veranlassung des Arbeitgebers im Rahmen seines Personalbedarfs auf

Kosten des Arbeitgebers durchgeführt worden sein (vgl. zu Nr. 7 SR 2 a BAT:

BAG Urteil vom 14. Juni 1995 - 5 AZR 960/93 - AP Nr. 21 zu § 611 BGB

Ausbildungsbeihilfe). Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Kläger ist, wie

das Landesarbeitsgericht festgestellt hat, auf Veranlassung der Beklagten im

Rahmen ihres Personalbedarfs auf ihre Kosten zum Operations-Fachpfleger

weitergebildet worden.

 

b) Die Weiterbildung des Klägers zum Operations-Fachpfleger war auch

vergütungsrelevant (vgl. zu Nr. 7 SR 2 a KnAT bzw. BAT: Urteil vom 6.

September 1995 - 5 AZR 174/94 - AP Nr. 22 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe,

mit Anm. von Hoyningen-Huene). Sie ist im Operationsdienst Voraussetzung für

die Eingruppierung in die VergGr. Kr 5 a Fallgr. 2 a, ebenso bei

entsprechender Bewährung in höhere Vergütungsgruppen (Kr 6 Fallgr. 1) bzw.

mit Leitungsaufgaben (Kr 6 Fallgr. 7 d). Die Einlassung des Klägers, die

Weiterbildung habe ihm persönlich keine vergütungsrelevanten Vorteile

gebracht, ist unrichtig. Es genügt, daß die Weiterbildung den beruflichen

Aufstieg nach Maßgabe der Gesamtregelung der AVR-Caritas ermöglicht.

Tatsächlich erreichte der Kläger durch die Weiterbildung noch bei der

Beklagten den Aufstieg, nämlich die Höhergruppierung in die VergGr. Kr 6

Fallgr. 1.

 

4. Nach § 10 a Abs. 2 Unterabs. 2 Buchst. b AVR-Caritas hat der Kläger zwei

Drittel der erstattungsfähigen Fortbildungskosten an die Beklagte

zurückzuzahlen. Er hat sein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten auf seinen

Wunsch "zum 1. Juli 1993 " und damit im zweiten Jahr nach Beendigung der

Weiterbildungsmaßnahme aufgelöst. Die Weiterbildung dauerte bis Ende

September 1991. Besondere Umstände i.S.d. § 10 a Abs. 2 Unterabs. 3

AVR-Caritas, unter denen die Beklagte von der Erstattung hätte absehen

können, hat der Kläger nicht behauptet.

 

5. Insgesamt hatte der Kläger 7.615,53 DM, nämlich 2/3 des

erstattungsfähigen Betrages von 11.423,30 DM zurückzuzahlen. Von den Kosten

der Weiterbildung des Klägers in unstreitiger Höhe von 12.060,24 DM sind die

darin enthaltenen Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung (636,34 DM) auf

die (anteiligen) Personalkosten (4.242,24 DM) nicht erstattungsfähig. Eine

Vereinbarung, nach der ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber auch die

(anteiligen) Sozialversicherungsbeiträge zu erstatten hat, ist nach § 32 SGB

I wegen Verstoßes gegen die zwingenden Bestimmungen der §§ 20, 22 SGB IV

nichtig (BAG Urteil vom 11. April 1984 - 5 AZR 430/82 - AP Nr. 8 zu § 611

BGB Ausbildungsbeihilfe, unter III 3 der Gründe, m.w.N.).

 

6. Die restlichen Gehaltsforderungen des Klägers gegen die Beklagte in Höhe

der Klageforderung (4.109,89 DM) sind infolge der Aufrechnung mit der

Erstattungsforderung in dieser Höhe erloschen (§§ 387, 389 BGB). Mithin ist

die Klage unbegründet.

 

II. Die Widerklage ist in Höhe von 3.505,64 DM begründet; im übrigen ist sie

nicht begründet.

 

1. Die Erstattungsforderung der Beklagten von 7.615,53 DM ist infolge der

Aufrechnung gegen die restlichen Gehaltsforderungen des Klägers in Höhe von

4.109,89 DM erloschen. Der verbleibende Unterschiedsbetrag steht der

Beklagten zu. Dies ergibt sich aus den Ausführungen zu I.5.

 

2. Die Zinsforderung auf den zuerkannten Teil der Widerklage beruht auf den

§§ 284, 288 BGB. Entgegen Tatbestand und Tenor des Berufungsurteils ist nur

die Zahlung von 4 % und nicht von 10 % Verzugszinsen beantragt worden.