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Betriebsbedingte Kündigung zum Zwecke der Kostensenkung

(hier: Einsparung von Fahrgeldzuschüssen)

 

Amtlicher Leitsatz:

Der Entschluß des Arbeitgebers, sog. Lohnnebenkosten wie Fahrgeldzuschüsse im Hinblick auf die eingetretene schlechte wirtschaftliche Lage einzusparen, rechtfertigt als solcher eine ordentliche Änderungskündigung nicht. Die Unternehmerentscheidung, die Kosten zu reduzieren, stellt kein dringendes betriebliches Erfordernis i.S.d. § 2 KSchG i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG dar. Vielmehr muß der Entschluß des Arbeitgebers in eine betrieblich-organisatorische Maßnahme münden.

LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 24.4.1995, 15 Sa 162/94 (ArbG Stuttgart),

 

Zu Tatbestand und Entscheidungsgründen:

1. Die Parteien stritten über die Rechtswirksamkeit einer zum Zwecke der Kostenreduzierung ausgesprochenen ordentlichen Änderungskündigung vom 17.6. zum 31.12.1994.

Der 1943 geb. Kläger steht seit dem 3.3.1975 als Bohrer in den Diensten der Beklagten. Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 37,5 Stunden erzielt er einen Bruttomonatslohn in Höhe von ca. 4.000,00 DM. Die Beklagte beschäftigte im Dezember 1990 noch 1.301 Arbeitnehmer. Die Beschäftigtenzahl wurde bis Dezember 1993 auf 947 Arbeitnehmer reduziert. Die für Dezember 1994 vorgesehene Planzahl von 902 Arbeitnehmern wurdde durch die Einstellung von 20 Arbeitnehmern - in erster Linie ausgelernte Auszubildende - nicht erreicht.

Die Beklagte leistete an 16 Arbeitnehmer und weitere 10 leitende Mitarbeiter aufgrund einzelvertraglicher Zusagen einen Fahrgeldzuschuß. Einen solchen erhielten weitere 385 Mitarbeiter, wobei auch die Beklagte davon ausgeht, daß die Gewährung des Fahrgeldes aufgrund betrieblicher Übung Vertragsbestandteil geworden ist. Jedenfalls wurde der Fahrgeldzuschuß, der seiner Höhe nach an die jeweiligen Tarife der Bundesbahn gekoppelt ist, in über 10 Jahren gezahlt. Seine Gewährung hing davon ab, daß der Arbeitnehmer mehr als 7 Kilometer vom Betriebsgebäude entfernt wohnte. Der dem Kläger in den Monaten Januar bis September 1994 geleistete Fahrgeldzuschuß belief sich auf 60,90 DM.

Insgesamt zahlte die Beklagte im Jahr 1993 an ihre Mitarbeiter Fahrgeldzuschüsse in Höhe von 280.000,00 DM. Die schlechte wirtschaftliche Lage, die bei der Beklagten ihren Ausdruck unter anderem in rückläufigen Umsatzerlösen, negativen Betriebsergebnissen und Bilanzergebnissen fanden, veranlaßte diese zur Einleitung von Kostensenkungsmaßnahmen. Am 18.3.1994 faßten ihre Gesellschafter den Beschluß, übertarifliche Leistungen abzubauen. Durch den Wegfall der Werksbusse und des Fahrgeldzuschusses zum 30.9.1994 sollten monatlich insgesamt 31.500,00 DM eingespart werden. Die Streichung aller Ausflüge einschließlich des sozialpädagogischen Seminars der Auszubildenden sollte zu Einsparungen in Höhe von 34.000,00 DM jährlich führen. Um weitere ca. 9.000,00 DM monatlich sollten die Kosten durch die Verrechnung der übertariflichen Nachtzulage mit der ab 1.6.1994 in Kraft getretenen Lohn-Gehaltserhöhung bzw. der Kündigung derentsprechenden Betriebsvereinbarung gesenkt werden. Eine generelle Anrechnung übertariflicher Zulagen auf diese Tariflohnerhöhung hatte die Beklagte nicht vorgenommen.

Am 9.6.1994 leitete die Beklagte die Beteiligungsverfahren hinsichtlich geplanter 385 Änderungskündigungen ein. Der Betriebsrat widersprach den beabsichtigten Änderungskündigungen. Der Kläger hat das in der Änderungskündigung enthaltene Angebot, das Arbeitsverhältnis ohne Gewährung eines Fahrgeldzuschusses fortzuführen, am 4.7.1994 unter Vorbehalt angenommen. Neun der zehn leitenden Mitarbeiter mit einer entsprechenden einzelvertraglichen Zusage bezgl. eines Fahrgeldzuschusses haben auf diesen verzichtet.

Mit seiner Änderungsschutzklage hat sich der Kläger gegen die Änderungskündigung gewandt. Er hat dringende betriebliche Erfordernisse, die eine Änderungskündigung rechtfertigen könnten, in Abrede gestellt.

Die Beklagte hat die Änderungskündigung für gerechtfertigt erachtet. Sie sei zu Kosteneinsparungen gezwungen gewesen, um sich zumindest wieder wettbewerbsfähiger zu machen und um weiteren Personalabbau vermeiden zu können.

 

2. Das LAG stellt zunächst klar, daß die Gewährung des Fahrgeldzuschusses aufgrund betrieblicher Übung Inhalt der Einzelarbeitsverhältnisse geworden war (vgl. zur betrieblichen Übung z.B. BAG EzA § 242 BGB Betriebliche Übung Nr. 32): "Die betriebliche Übung hat ihre Rechtsquelle im Arbeitsvertragsrecht, so daß ihre Beseitigung nur mit den zutreffenden Gestaltungsmitteln rechtlich möglich ist. Daher ist der Einwand, eine Betriebsvereinbarung könne ohne große Besonderheit gekündigt werden, umbehelflich (?). Weder hat die Beklagte einen Vorbehalt erklärt, noch hat sie eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen. Werden rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten, die eine leichtere Anpassung gewährter Leistungen an die wirtschaftliche Lage des Unternehmens ermöglichen, nicht gewählt, so können nicht deswegen allgemein Änderungsvoraussetzungen abgesenkt werden...".

 

3 a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG (EzA § 2 KSchG Nr. 6) ist bei einer betriebsbedingten Änderungskündigung das Änderungsangebot des Arbeitgebers daran zu messen, ob dringende betriebliche Erfordernisse gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG das Änderungsangebot bedingen und ob sich der Arbeitgeber bei einem an sich anerkennenswerten Anlaß zur Änderungskündigung darauf beschränkt hat, nur solche Änderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muß. Vorrangig war also zu prüfen, ob derartige dringende betriebliche Erfordernisse das Änderungsangebot bedingten. Derartige dringende betriebliche Erfordernisse sieht das LAG nicht als gegeben an: "Würde man nur auf den finanziellen Entlastungseffekt für das Unternehmen abstellen, der hinsichtlich der geltend gemachten wirtschaftlichen Situation zweifellos kaum spürbar ist, fehlte es schon an einem dringenden betrieblichen Erfordernis. Die Beklagte hat selbst vorgetragen, die Änderung sei von relativ geringem Gewicht. Ist sie jedoch nur von relativ geringem Gewicht, so daß der finanzielle Entlastungseffekt im Falle der Einstellung der Zahlung des Fahrgeldzuschusses kaum spürbar ist, fehlt es schon an der erforderlichen Dringlichkeit...".

 

b) Das LAG setzt sich sodann mit der Frage auseinander, ob und unter welchen Voraussetzungen die Unrentabilität eines Unternehmens eine Änderungskündigung zum Zwecke der Lohnsenkung rechtfertigt. Es macht dabei zunächst darauf aufmerksam, daß eine arbeitgeberseitige Kündigung zum Zwecke der Kostensenkung keine von den Arbeitsgerichten hinzunehmende Unternehmerentscheidung ist (vgl. BAG EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 37). Es lehnt es ab, jedes sachliche Interesse von einigen Gewicht, etwa der Erreichung einer angemessenen Rentabilität, als betriebliches Erfordernis anzusehen. Damit werde das Tatbestandsmerkmal des dringenden betrieblichen Erfordernisses durch das Merkmal des sachlichen Grundes von einigem Gewicht ersetzt (vgl. aber auch LAG Köln LAGE § 2 KSchG Nr. 8; vgl. auch LAG Köln LAGE § 2 KSchG Nr. 10; LAG Köln NZA 1995, 218): "Die Beklagte verkennt grundsätzlich, daß die unternehmerische Entscheidung, Kosten abzubauen, zunächst einmal kündigungsrechtlich irrelevant ist. Erst wenn die Unternehmerentscheidung in betrieblich-organisatorische Maßnahmen mündet und damit objektivierbar wird, gerät sie... in das Prüfungsraster des Kündigungsschutzgesetzes. Der bloße Wille, rentabel bzw. rentabler zu arbeiten, legitimiert noch keine Kündigung. Vielmehr muß die Unternehmerentscheidung betrieblich umgesetzt werde. Eine solche Umsetzung stellt es nicht dar, wenn der Arbeitgeber... ein Paket zum Abbau übertariflicher Zulagen beschließt und zur Durchsetzung Änderungskündigungen erklärt. Es fehlt dabei an jeglichen betrieblich-organisatorischen Maßnahmen...". Das LAG weist zusätzlich darauf hin, daß von dem Paket der Beklagten offensichtlich nicht alle Arbeitnehmer betroffen waren. Die Beklagte habe auch nicht dargetan, inwieweit das Paket und insbesondere die Abschaffung des Fahrgeldzuschusses geeignet war, späteren Entlassungen vorzubeugen.

 

Anmerkung:

Das erst jetzt bekannt gewordene rechtskräftige Urteil des LAG Baden-Württemberg dokumentiert die Schwierigkeiten der Anpassung von Arbeitsbedingungen an eine veränderte wirtschaftliche Lage des Unternehmens. In der Sache ging es um den Abbau eines wöchentlichen Fahrgeldzuschusses von 3,50 DM (!) bei einem Arbeitnehmer mit einem Bruttomonatsgehalt von 4.000,00 DM und für das Unternehmen um eine Einsparung von ca. 280.000,00 DM. Sollte es dabei bleiben, daß die unternehmerische Entscheidung, Kosten abzubauen, in das Prüfungsraster des Kündigungsschutzgesetzes erst dann gerät, wenn die Unternehmerentscheidung in betrieblich-organisatorische Maßnahmen einmündet, was beim Wegfall eines Fahrgeldzuschusses schwer vorstellbar ist, so werden die Unternehmen ohne Not zu echten Unternehmerentscheidungen mit Personalabbau gezwungen. Für die Zukunft gilt es, vorbehaltlose einzelvertragliche Zusagen zu vermeiden und das Instrument der Betriebsvereinbarung im Rahmen des rechtlich Möglichen verstärkt einzusetzen.