DER RAT DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN
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gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere auf Artikel 100,
auf Vorschlag der Kommission,
nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments (1),
nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses (2),
in Erwägung nachstehender Gründe:
Die wirtschaftliche Entwicklung führt auf einzelstaatlicher
und gemeinschaftlicher Ebene zu Änderungen in den Unternehmensstrukturen,
die sich unter anderem aus dem Übergang von Unternehmen,
Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch
vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung ergeben.
Es sind Bestimmungen notwendig, die die Arbeitnehmer bei einem
Inhaberwechsel schützen und insbesondere die Wahrung ihrer
Ansprüche gewährleisten.
Zwischen den Mitgliedstaaten bestehen in bezug auf den Umfang
des Arbeitnehmerschutzes auf diesem Gebiet weiterhin Unterschiede,
die verringert werden sollten.
Diese Unterschiede können sich auf das Funktionieren des
Gemeinsamen Marktes unmittelbar auswirken.
Daher muß auf die Angleichung der Rechtsvorschriften in
diesem Bereich auf dem Wege des Fortschritts im Sinne des Artikels
117 des Vertrages hingewirkt werden -
HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:
TEIL I Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Artikel 1
(1) Diese Richtlinie ist auf den Übergang von Unternehmen,
Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche
Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar.
(2) Diese Richtlinie ist anwendbar, wenn und soweit sich das Unternehmen,
der Betrieb oder der Betriebsteil, das bzw. der übergeht, innerhalb
des territorialen Geltungsbereichs des Vertrages befindet.
(3) Diese Richtlinie gilt nicht für Seeschiffe.
Artikel 2
Im Sinne dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:
a) Veräusserer ist jede natürliche oder juristische
Person, die auf Grund eines Übergangs im Sinne des Artikels
1 Absatz 1 als Inhaber aus dem Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil
ausscheidet.
b) Erwerber ist jede natürliche oder juristische Person,
die auf Grund eines Übergangs im Sinne des Artikels 1 Absatz
1 als Inhaber in das Unternehmen, den Betrieb oder Betriebsteil
eintritt.
c) Vertreter der Arbeitnehmer sind die Arbeitnehmervertreter
nach den Rechtsvorschriften oder der Praxis der Mitgliedstaaten,
mit Ausnahme der Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane
von Gesellschaften, die diesen Organen in bestimmten Mitgliedstaaten
als Arbeitnehmervertreter angehören.
(1)ABl. Nr. C 95 vom 28.4.1975, S. 17.
(2)ABl. Nr. C 255 vom 7.11.1975, S. 25.
TEIL II Wahrung der Ansprüche der Arbeitnehmer
Artikel 3
(1) Die Rechte und Pflichten des Veräusserers aus einem zum
Zeitpunkt des Übergangs im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 bestehenden
Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis gehen auf Grund des Übergangs
auf den Erwerber über.
Die Mitgliedstaaten können vorsehen, daß der Veräusserer
auch nach dem Übergang im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 neben
dem Erwerber für Pflichten aus einem Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis
einzustehen hat.
(2) Nach dem Übergang im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 erhält
der Erwerber die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen
bis zu der Kündigung oder dem Ablauf des Kollektivvertrags
bzw. bis zum Inkrafttreten oder bis zu der Anwendung eines anderen
Kollektivvertrags in dem gleichen Masse aufrecht, wie sie in dem
Kollektivvertrag für den Veräusserer vorgesehen waren.
Die Mitgliedstaaten können den Zeitraum der Aufrechterhaltung
der Arbeitsbedingungen begrenzen, sofern dieser nicht weniger als
ein Jahr beträgt.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für die Rechte der
Arbeitnehmer auf Leistungen bei Alter, bei Invalidität oder
für Hinterbliebene aus betrieblichen oder überbetrieblichen
Zusatzversorgungseinrichtungen ausserhalb der gesetzlichen Systeme
der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten.
Die Mitgliedstaaten treffen die notwendigen Maßnahmen zum
Schutz der Interessen der Arbeitnehmer sowie der Personen, die zum
Zeitpunkt des Übergangs im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 bereits
aus dem Betrieb des Veräusserers ausgeschieden sind, hinsichtlich
ihrer Rechte oder Anwartschaftsrechte auf Leistungen bei Alter,
einschließlich Leistungen für Hinterbliebene, aus den
in Unterabsatz 1 genannten Zusatzversorgungseinrichtungen.
Artikel 4
(1) Der Übergang eines Unternehmens, Betriebes oder Betriebsteils
stellt als solcher für den Veräusserer oder den Erwerber
keinen Grund zur Kündigung dar. Diese Bestimmung steht etwaigen
Kündigungen aus wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen
Gründen, die Änderungen im Bereich der Beschäftigung
mit sich bringen, nicht entgegen.
Die Mitgliedstaaten können vorsehen, daß Unterabsatz
1 auf einige abgegrenzte Gruppen von Arbeitnehmern, auf die sich
die Rechtsvorschriften oder die Praxis der Mitgliedstaaten auf dem
Gebiet des Kündigungsschutzes nicht erstrecken, keine Anwendung
findet.
(2) Kommt es zu einer Beendigung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses,
weil der Übergang im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 eine wesentliche
Änderung der Arbeitsbedingungen zum Nachteil des Arbeitnehmers
zur Folge hat, so ist davon auszugehen, daß die Beendigung
des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber
erfolgt ist.
Artikel 5
(1) Sofern der Betrieb seine Selbständigkeit behält,
bleiben die Rechtsstellung und die Funktion der Vertreter oder der
Vertretung der vom Übergang im Sinne des Artikels 1 Absatz
1 betroffenen Arbeitnehmer erhalten, wie sie in den Rechts- und
Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten vorgesehen sind.
Unterabsatz 1 findet keine Anwendung, wenn gemäß den
Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder der Praxis der Mitgliedstaaten
die Bedingungen für die Neubestellung der Vertreter der Arbeitnehmer
oder die Neubildung der Vertretung der Arbeitnehmer erfüllt
sind.
(2) Erlischt das Mandat der Vertreter der vom Übergang im
Sinne des Artikels 1 Absatz 1 betroffenen Arbeitnehmer auf Grund
des Übergangs, so gelten für diese Vertreter weiterhin
die nach den Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder der Praxis
der Mitgliedstaaten vorgesehenen Schutzmaßnahmen.
TEIL III Information und Konsultation
Artikel 6
(1) Der Veräusserer und der Erwerber sind verpflichtet, die
Vertreter der jeweiligen von einem Übergang im Sinne des Artikels
1 Absatz 1 betroffenen Arbeitnehmer über folgendes zu informieren:
- den Grund für den Übergang,
- die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs
für die Arbeitnehmer,
- die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.
Der Veräusserer ist verpflichtet, den Vertretern seiner Arbeitnehmer
diese Informationen rechtzeitig vor dem Vollzug des Übergangs
zu übermitteln.
Der Erwerber ist verpflichtet, den Vertretern seiner Arbeitnehmer
diese Informationen rechtzeitig zu übermitteln, auf jeden Fall
aber bevor diese Arbeitnehmer von dem Übergang hinsichtlich
ihrer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen unmittelbar betroffen
werden.
(2) Ziehen der Veräusserer bzw. der Erwerber Maßnahmen
hinsichtlich ihrer jeweiligen Arbeitnehmer in Betracht, so sind
sie verpflichtet, die Vertreter ihrer jeweiligen Arbeitnehmer rechtzeitig
zu diesen Maßnahmen zu konsultieren, um eine Übereinkunft
anzustreben.
(3) Die Mitgliedstaaten, deren Rechts- und Verwaltungsvorschriften
vorsehen, daß die Vertreter der Arbeitnehmer eine Schiedsstelle
anrufen können, um eine Entscheidung über hinsichtlich
der Arbeitnehmer zu treffende Maßnahmen zu erhalten, können
die Verpflichtungen gemäß den Absätzen 1 und 2 auf
den Fall beschränken, in dem der vollzogene Übergang eine
Betriebsänderung hervorruft, die wesentliche Nachteile für
einen erheblichen Teil der Arbeitnehmer zur Folge haben kann.
Die Information und die Konsultation müssen sich zumindest
auf die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen
erstrecken.
Die Information und die Konsultation müssen rechtzeitig vor
dem Vollzug der in Unterabsatz 1 genannten Betriebsänderung
erfolgen.
(4) Die Mitgliedstaaten können die in den Absätzen 1,
2 und 3 vorgesehenen Verpflichtungen auf Unternehmen oder Betriebe
beschränken, die hinsichtlich der Zahl der beschäftigten
Arbeitnehmer die Voraussetzungen für die Wahl oder Bestellung
eines Kollegiums als Arbeitnehmervertretung erfüllen.
(5) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, daß die betreffenden
Arbeitnehmer für den Fall, daß es in einem Unternehmen
oder in einem Betrieb keine Vertreter der Arbeitnehmer gibt, vorher
über den unmittelbar bevorstehenden Übergang im Sinne
des Artikels 1 Absatz 1 zu informieren sind.
TEIL IV Schlußbestimmungen
Artikel 7
Diese Richtlinie schränkt nicht die Möglichkeit der
Mitgliedstaaten ein, für die Arbeitnehmer günstigere Rechts-
oder Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen.
Artikel 8
(1) Die Mitgliedstaaten setzen die erforderlichen Rechts- und
Verwaltungsvorschriften in Kraft, um dieser Richtlinie binnen zwei
Jahren nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen, und unterrichten hiervon
unverzueglich die Kommission.
(2) Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der
Rechts- und Verwaltungsvorschriften mit, die sie auf dem unter diese
Richtlinie fallenden Gebiet erlassen.
Artikel 9
Innerhalb von zwei Jahren nach Ablauf der in Artikel 8 genannten
Frist von zwei Jahren übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission
alle zweckdienlichen Angaben, damit die Kommission für den
Rat einen Bericht über die Anwendung dieser Richtlinie erstellen
kann.
Artikel 10
Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.
Geschehen zu Brüssel am 14. Februar 1977.
Im Namen des Rates
Der Präsident
J. SILKIN
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